Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, 20. – 24. Januar 1872

Berlin 20/1 72

Lieber Ernst!

Als ich heute bei der Weiß war, sagte sie mir ihr Ernst käme als Professor nach Kiel. Damit ich es nicht vergesse Dir zu sagen, fange ich gleich diese Zeilen an.

24/1 Heute früh erhielt ich Deinen lieben Brief, wofür ich herzlich danke. Deine Versicherung, daß es bei Euch wieder besser geht freut mich, ich hoffe, Agnes wird sich mit den Kindern bald erholen. Von Dir schreibst Du mir gar nichts und doch möchte ich grade wissen ob Du gesund bist. Ich denke Du läßt Dich auch mit impfen und auch || Euere Mädchen. –

Daß die Sachen glücklich angekommen sind, freut mich; ich hatte Sorge darüber, die Packerei war zu so verschiedenen Zeiten vor genommen, daß ich fürchtete, es möchte nicht gut ankommen, denn wenn ich von Dir noch etwas fand, steckte ich es schnell in den Schrank; Du mußt nur auch die Schuhe nachsehen, da drin steckt auch etwas rℓ. Vor allem verbraucht es in Gesundheit! –

Bei so schweren, ernsten Lebensereignissen wird man recht ängstlich und besorgt. Ich denke viel || weniger mit Sorge an meinen eigenen Tod; mit dem Gedanken daran habe ich mich immer vertraut gemacht und in meinem hohen Alter muß man ihn täglich erwartten, und ich habe täglich meine Kinder bitten wollen: sich ja nicht zu betrüben, wenn Gott mich abruft! –

Nur bitte ich, daß Ihr Euch untereinander recht lieb behalten und treulich helft, das Leben recht zu vollbringen; vor allem Euere Kinder in Gottesfurcht erzieht, daß sie früh lernen sich selbst zu beherrschen. ||

Von unsern Potsdammern habe ich seit Sonnabend nichts gehört; Karl hatte versprochen bald her zu kommen; ist aber nicht geschehn; ich hoffe nur, daß alles gut ist.

7 Uhr

Eben ist Karl hier gewesen, er läßt grüssen, sie sind alle gesund. –

Helehne Jacobie war auch einige Tage krank, heute geht es ihr besser. –

Ach, lieber Ernst, der Tod von meinem Bruder Julius ist doch gar zu traurig. Das Leben wird so öde; nun haben wir keinen Bruder mehr, von 10 Geschwistern leben nur noch wir 3 Schwestern. ||

Wenn es Gottes Wille ist, daß ich noch länger leben muß, so wünsche ich, ich wäre erst in Potsdam, daß alles geordnet und der Umzug überstanden wäre. –

Dann hoffe ich kommst Du auch einmal bald und siehst, wo Deine alte Mutter geblieben ist. – –

Karl sah heute viel wohler aus, und meint auch sie wären alle gesund. –

Gott befohlen! grüsse Frau und Kinder von

Deiner

Mutter Lotte

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
24.01.1872
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36449
ID
36449