Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 6. Januar 1867

Berlin den 6ten

Januar 1867a.

Mein lieber Herzens Ernst!

Gestern wurde ich durch zwei Briefe von Dir erfreut, die zugleich ankamen, und mich sehr beruhigten, da Du mir schreibst Du seist wohl; denn ich hatte bis dahin rechte Sorge um Dich, daß Dir die wagehalsige Tour auf den Pick geschadet haben könne, nun, Gott sei Dank, daß Du gesund bist; nun bitte ich Dich aber dringend: nimm Dich künftig besser in Acht; denke doch dran wie liebb wir Dich haben; was Du uns und dem armen Karl bist, und wie Du auch nur mit Gesundheit recht in || Deinem Berufe wirken kannst. Sonst freue ich mich ja mit Dir über jeden Genuß, den Dir Gottes reiche große und oft wunderbare Schöpfung gewehrt; und ich hoffe sehr der heitere südliche Himmel wird seinen wohlthätigen Einfluß auf Dein Gemüth auch diesmal ausüben; und Du kehrst dann gestärkt an Seele und Leib zu uns zurück. Damit das aber auch geschehe übernimm Dich jetzt auch nicht wieder bei der Arbeit, und kommst bei dem regen Trieb nach Wissen zu leicht dazu, auch die Arbeit || zu übertreiben, bei der es doch, wie bei Allem andern im Leben heißt: Maaß halten. –

Den Brief an Gegenbauer habe ich ihm gestern gleich direkt geschickt, und ihm gesagt, die andern Briefe würde ich ihm schicken sobald sie von Landsberg zurück kommen; denn da heute die Kinder abreisen, habe ich sie erst an Karl geschickt und ihn gebeten, sie mir zurück zu schicken, um sie hier auch noch einigen mitzutheilen. –

Daß Du ohne Nachricht von uns bist, thut mir sehr leid; ich habe seit || Du von London weg bist 4 mal geschrieben, und immer genau die Adresse, wie Du sie angegeben, auch Gegenbauer und Karl haben geschrieben; hoffentlich hast Du nun endlich Briefe von uns bekommen. Was soll ich Dir von uns sagen; gesund sind wir, sonst leben wir still und ernst fort, bei allem fehlt uns unsere liebe Mimmi, und doch muß es ertragen werden. Seit Du weg bist, haben wir in Ganzen viel ernstes erlebt, und da ich nicht weiß, ob Du unsere früheren Briefe erhalten hast; || so muß ich Dir wohl noch mals berichten, was alles sich in der Familie ereignet hat. Zuerst laß mich aber es noch aussprechen, wie ich, wenn ich auch täglich Deiner mit Liebe gedenke, doch so ganz besonders an den Festtagen mit meinem Herzen bei Dir war, und so recht Gott gebeten habe, Dir viel Glück im neuen angetreten Lebensjahr zu geben; ach, das alte war in jeder Beziehung so schwer, und hat so viel Unglück über die Menschen gebracht, möge das neue Bessers bringen. ||

Schon im vorigen Sommer hat uns die Gesundheit von Tante Adelheid viel Sorge gemacht, im Herbst bekam sie eine Lungenentzündung, und ist am 19ten November gestorben; am 22sten wurde sie hier beerdigt, ich fuhr mit Karl, der den Abend vorher zu seines Vaters Geburtstag angekommen war, mit auf den Kirchhoff. Karl konnte, wie immer nur ein paar Tage bleiben, und sah sehr elend aus; jetzt war er vom 29ten December bis zum 1sten Januar hier und hat sich doch || körperlich erholt; Gott gebe ihm Kraft, seine Pflichten gegen die Kinder zu erfüllen. Im Ganzen ist es wohl ein Glück, daß die Frau Oberheim dort ist, wie Karl mir sagt, ist sie sehr verständig und gut für die Kinder. Karl brachte: Karl, Anna, Heinnrich und Marie mit, Herrmann war nicht ganz wohl, und der Doctor erlaubte ihm nicht zu reisen; die beiden Mädchen waren bei Bertha, die Knaben bei uns; heute früh habe ich alle 4 zur Bahn gebracht; sie haben uns Freude gemacht; es sind doch sehr gute Kinder. ||

Zum Weihnachtsfest ist Mutter Minchen in Landsberg gewesen. Die Kinder sind Heiligabend vergnügt gewesen; wir haben ihn ganz einsam verlebt: Tante Gertrud u. Tante Bertha waren in Potsdam, was mir auch für Sethes sehr lieb war; den zweiten Feiertag kamen sie zurück und waren zu Mittag bei uns; ebenso auch Sonntag, den 30sten December, mit Jakobis um mit Karl zusammen zu sein. In einigen Tagen wird Julius Sethe abreisen, der nach Bouenos-Eires geht; möge es zu seinem Beßten sein; ich liebe nicht die fernen Wanderungen. ||

Noch Traurigeres erleben wir an Herrmann Naumann, der so krank ist daß er hat nach Görlitz in die Anstalt bei Herrmann Reimer hat gebracht werden müssen; die letzten Nachrichten waren nicht gut; Elise ist den Sommer mit ihm im Harz gewesen, und meint er habe dort Windpocken gehabt u. sich dabei erkältet, Reimer meint nun das würden wohl rechte Pocken gewesen sein, und die durch Erkältung aufs Gehirn geschlagen wären. Ach, das ist eine traurige Famielie! – – ||

Du klagst, mein lieber Ernst, daß Du seit London keine Zeitungen gesehn, die sind aber auch jetzt so nichts sagend, daß Du dadurch nichts versäumt hast. Das wichtigste jetzt ist: 1) daß Schleswich-Holstein durch Gesetz dem preussischen Staat einverleibt ist, und 2) daß endlich der ehemalige König von Hanover die Hanöverischen Officiere, die es nachsuchen, ihres Eides entbindet; dadurch sind doch manche einer unangenehmen Lage entgangen. Zum 15ten Februar soll das Nord-Deutsche Parlament zusammentreten. Sollten dann || oder schon früher die Zeitungen interessanter werden, so werde ich Dir welche unter Kreuzband schicken. –

Anna Mehlmann, die Nichte der Frau Professor Beirich ist Braut mit Herrn J. Albrecht aus Rüdersdorf. – Bei der Weiß war ich gestern, und habe ihr Deine Pickbesteigung vorgelesen; sie läßt Dich herzlich grüssen. Bertha Hildebrand bleibt noch 14 Tage hier, vorgestern war sie bei uns, sie hatte Briefe von Hause; ihr Bruder Richard ist zum Fest zu Hause gewesen, und jetzt nach Italien mit dem Herrn Z., bei dem er in München arbeitet. Der ältere Bruder hat in Leipzig promoviert; die Nichte der Hildebrand, die || im vorigen Jahr ihr Kindchen verlohren hat, ist Freitag niedergekommen, und hat ein Söhnchen. –

Vater grüßt Dich recht herzlich wie auch alle Verwandte. Schreibe uns nur ja so oft Du kannst; erkundige Dich doch dort, ob Du Deine Briefe nicht lieber unfrankiert schickst; die beiden letzten waren doch frei gemacht doch mußte ich für einen 21 und für den andern 16 Silbergroschen bezahlen; ich habe es sehr gerne gegeben, ich freute mich ja so von Dir zu hören; aber es ist doch nicht nöthig doppelt zu zahlen. – –

Nun, leb wohl, mein Herzens Sohn, behalte lieb Deine alte Mutter

Lotte. –

a irrtüml.: 1866; b korr. aus: liebe

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
06.01.1867
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36283
ID
36283