Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, [Landsberg], 7. – 13. Mai 1866, mit Beischrift von Hermine Haeckel

Montag

Mein lieber Herzens Ernst!

Gestern erhielt ich Deinen lieben Brief, wofür ich herzlich danke. Daß Du wohl bist, freut mich. Wohl leben wir in einer ernsten, schweren Zeit, und vor uns ist noch alles dunkel und unklar, wie es sich entwickeln wird; aber den Muth und die Zuversicht darf man nicht verlieren; das Gut und Wahre wird und muß siegen. Wir können im Ganzen und Einzelnen noch schwere Kämpfe bestehn müssen; aber ich glaube doch Du siehst zu schwarz in die Zukunft; wir || Alten haben in unserer Jugend so viel erlebt, da ist man ruhiger. So sehr Du in vieler Beziehung recht urtheilst, so siehst Du doch vieles falsch an: 1) denkst Du Dir die katholische Pfaffenherrschaft in Oestereich viel unbedeutender, als sie ist, Du meinst man könne sich davon frei halten; ja Du wirst Dich nicht dem unterordnen! aber der Einfluß dieser Herrschaft auf jede geistige Entwickelung und auf sittliches Famielienleben ist || unberechenbar. 2) Wenn Du so leichthin von einer Revolution sprichst, so hast Du auch nicht bedacht, welche rohe Gewalten da zur Herrschaft kommen, und niemand kann da Halt gebieten, man weiß nicht wohin es führt. 3) Daß man froh sein muß, daß das Attentat auf Bismarck nicht geglückt ist, gielt wahrlich nicht seiner Person, sondern weil man wohl erkennt, daß durch solche Verbrechen der guten Sache nicht geholfen wird, sondern der Karren noch tiefer in den Dreck fährt. – ||

Sonntag Aus vorstehenden Zeilen siehst Du, mein lieber Ernst, daß ich Dir schon früher schreiben wollte, die letzten Tage waren aber so unruhig, daß es nicht dazu kam; nun soll der Brief aber noch heute abgehn. Ich weiß nicht, mein lieber Ernst, ob ich Dir früher geschrieben hatte: daß Karl und Herrmine zur Taufe ihre Geschwister erwartteten; das wurde nun freilich ganz anders: Petersens, die mit 4 Kindern kommen wollten, schrieben es Dienstag ab, Mitt-||woch erwartteten wir Helehne und Heinnrich, bekamen aber einen Brief, daß sie erst Donnerstag kommen würden, sie traffen dann auch um 1 Uhr hier ein; Abends um 6 Uhr wurde der kleine Julius, Wilhelm getauft; anwesende Pathen waren Vater, Frau Kette und der Bürgermeister Meidam; Abwesende: Clara Lampert und Adelheidchen Sethe. Vergebens erwartteten wir Karl Sethe, der nicht geschrieben hatte; gestern nachdem Helehne und Heinrich nach Berlin waren, kam von Karl ein Brief, der wirklich am Donnerstag abgereist war, in Kreuz aber keinen Anschluß || gehabt hatte, die Züge gehen jetzt sehr unregelmässig, alles wird fürs Militär benutzt. So war Karl heimgefahren, und hatte zu Hause seine Einberufungsorder vorgefunden; er hat nun reklamiert, da schon seine meisten Leute fort seien, und hofft frei zu kommen, ich glaube es nicht, das es ihm was hilft. –

Bis auf Husten und Schnupfen, was bei dem kalten Wetter wohl jeder hat, ist hier alles wohl, besonders freue ich mich, daß unsere liebe Herrmine sich so prächtig erholt. – ||

Wir denken heute über 8 Tage heimzukehren; wie es dann noch mit unserer Reise zu Dir werden wird, das hängt wohl ab davon, was überhaupt das Leben bringt; wenn Du Einquartierung hast, kannst Du uns nicht aufnehmen. Ich denke: Deine beabsichtete Reise wirst Du bei den schweren Zeitverhältnissen wohl gar nicht unternehmen; a Du kannst ja dann das im vorigen Jahr in Helgoland gesammeltest Material erst verarbeiten. – ||

Schönsten Gruß von Vater und Deiner

alten Mutter Lotte.

[Beischrift von Hermine Haeckel]

Einen herzlichen Gruß will ich Dir noch zufügen. Die Übrigen werden Dir wohl berichtet haben, wie gut es mir jetzt geht, viel besser als ich gehofft, daß der 6ste Junge getauft ist etc. Ebenfalls werden sie sich politisch gewaschen haben. Traurig genug sieht es aus, gebe Gott, daß es besser wird, wie wir fürchten. Daß Karl eingezogen, ist Dir wohl auch berichtet, ihn trifft es doppelt hart.

Der Teppich kommt jetzt zu Ehren, ich habe ihn vor meinen Schreibtisch gelegt und danke Dir herzlich dafür, lieber Ernst.

Daß Deine Italienische Reise verschoben wird, ist sehr natürlich, ich hoffe nur, daß der Reise Deiner Eltern zu Dir Nichts im Wege steht, das sollte mir leid thun. Der Alte ist sehr munter und sieht wohl, sogar stark aus.

Mit den herzlichsten Grüßen

Deine Dich liebende

Schwägerin Hermine

a gestr.: ich

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
07.05.1866
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36260
ID
36260