Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 5. Februar 1856

B 5/2 56.

Heute, mein lieber Herzens Ernst! erhielten wir Deinen letzten Reisebericht, und Deinen lieben Brief; herzlichen Dank für beides. Ach, ich kann Dir gar nicht sagen, mein Herzens Junge, wie ich mich auf Dich freue. Nun Gott gebe uns ein frohes Wiedersehn. Wie wohl wird es mir thun, wenn ich wieder so nach Herzens Lust mich mit Dir ausplaudern werde können. Hier auf der Erde ist es doch das Köstlichste zu wissen, daß man sich innerlich versteht mit denen, die man am meisten liebt; und das ist es auch || was mir die Trennung von Dir; und daß Du in die Welt hinaus tretten mußtest erleichtert hat, daß ich wußte daß in Dir das Gottvertrauen so Wurzel gefaßt hat; und das innere religiöse Leben so fest gegründet ist, daß keine glänzende Wissenschaft, keine Versuchung, keine Sophisterei oder Witzelei, das in Dir erschüttern kann, was in Dir lebt, und was Dir Reichthum Deines || Lebens sein und bleiben soll; und dazu helfe Dir Gott; grade finde ich Dein Lieblingsstudium kann erst recht dazu dienen, die wunderbare Größe und Herrlichkeit Gottes zur Anschauung zu bringen. Mir ist es unbegreiflich, wie es möglich ist seine Wunder und Werke zu studieren, und ihn den Schöpfer nicht zu suchen und zu finden. Nun, mein Herzens Sohn, laß Dir Dein Kleinoth nicht rauben. Ich habe den festen Glauben, daß jeder Mensch ein Verkündiger || des Evangeliums sein soll, jeder in seinem Lebensberuf, sei er auch noch so klein oder verschiedenartig; und so ist es mir als müßtest Du es auch in Deine Naturwissenschaft bringen. – –

Bringe Du nur Deinen Freund mit, er kann bei uns wohnen, und soll uns willkommen sein. – Sonntag ist Adolph Schubert nach Kiel abgereist; Teuscher, der hier sein großes Examen beendigt, hat ihn hin gebracht; wie traurig, daß es wieder so ist; ach und was soll nur daraus werden. ||

Tante Bertha geht es seit einigen Tagen wieder weniger gut, gestern Abend, als Vater bei ihr war, hat es geschienen als hätte sie etwas Fieber, wohl in Folge der Schmerzen, die ihr die Spanische Fliege macht. Hoffentlich wird es bald besser. Wenn Du es schon bestimmen kannst, so schreibe uns wann Du denkst mit Beckmann zu kommen. – Nun leb wohl, mein Herzens Ernst, behalte lieb Deine alte Mutter.a

a Briefschluss auf S. 4 unten von Br. A 35901: Tante Bertha … alte Mutter.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
05.02.1856
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36139
ID
36139