Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 17./18. November 1852

Berlin 17/11 52.

Mein lieber Herzens Ernst!

Habe Dank für Deinen lieben Brief, der heute früh kam. Daß Du gesund bist, freut mich, aber bekämpfe nur wacker das Heimweh; wenn man sich so recht innig liebt, und so gewohnt ist alles mit einander gemeinschaftlich zu erleben, dann tritt wohl beim Entferntsein eine große Sehnsucht oft ein; und mir geht es ja auch nicht anders, ich entbehre das Zusammensein mit meinen geliebten Kindern sehr; aber das Gefühl der || zu großen Wehmuth lasse ich nicht aufkommen; ich denke dann immer wie ich mich darüber freuen muß, daß es ja zu ihrem Wohle ist; und erfreue mich auch in der Ferne der innern Gemeinschaft. So war es mir eigen als ich aus Deinem Brief sah, wie Du erbaut von Deinem Kirchgang warst, den selben Sonntag haben Vater und ich um 10 Uhr in der Neuen Kirche von Sydow || eine sehr schöne Prädigt über den selben Text gehört; und auf dem Wege, sagte ich noch zu Vater: ob unser Ernstchen auch wohl eine evangelische Kirche in Würzburg hat. Sieh nun freue ich mich daß ich es weiß und kann nun oft Sonntags denken, wenn ich zur Kirche gehe, unser Junge ist auch drin. –

Den 18ten. Daß du solchen interessanten Abend in der Gesellschaft verlebt hast, freut mich herzlich; siehst Du, mein lieber Sohn, || es giebt auch eine edele Art der Geselligkeit, einen hohen Genuß [!] liegt im geistigen Austausch, und deshalb wünsche ich es auch, daß Du Deiner Neigung, Dich von den Menschen zurückzuziehen nicht folgen sollst. Es wird mich freuen wenn Du oft solche Abende mit erleben kannst; aber auch von Deinen jungen Freunden mußt Du Dich nicht zurückziehen. Wenn Dir die Zusammenkünfte || in der Kneipe nicht behagen, was ich mir wohl denken kann, so suche Dir eine andere Geselligkeit zu schaffen; bitte Deine Bekannte, daß sie Dich zuweilen auf Deiner Stube besuchen; und sprich mit Bertheau ob Ihr nicht Euch solche Abende einrichtet als Ihr hier das Kränzchen hattet. Sieh, mein lieber Ernst, dazu mußt Du auch selbst, was thun; mache zum Beispiel den Anfang, daß Du Dir an Vaters Geburtstag ein paar || Freunde zu Dir bittest; und sei dann recht fröhlig, danke Gott, daß er Euch bis jetzt den geliebten Vater erhalten hat, und gräme Dich nicht daß Du an dem Tage nicht bei uns sein kannst; wenn ich weiß, daß Du heiter sein wirst, dann bin ich es auch. So mußt Du Dich auch besprechen, wie Ihr gemeinschaftlich den Weihnachtsheiligabend verleben wollt, da müsst Ihr nicht einzelnen || bleiben. Das Leben auf der Universität mit vielen jungen Leuten soll Dir hoffentlich recht lieb werden. Du brauchst ja dabei Deine Aeltern nicht zu vergessen. – –

Ich glaube ich schrieb Dir schon neulich, daß wir Regenbrecht zu Mittag bitten wollten, der war auch hier, grüßt Dich herzlich, er wird Dir nächstens schreiben, v. Witchenstein und Wilde machten Sonntag hier auch Besuch, sie grüssen Dich schön. v. W. sagte mir auch, er würde Naturwissen-||schaft studieren, er wollte Dir auch schreiben. Tante Bertha ist am vorigen Montag wieder gebrannt, sie hat viel Schmerzen gehabt, aber es geht ihr sonst gut, auch Großvater hat etwas Schnupfen, sonst sind wir alle wieder wohl. –

Vater und ich gehen heute Abend zur Mutter Reimer, wir werden dort mit Jonassens zusammen sein; ich muß mich anziehen, und wünsche Dir eine gute Nacht. Wenn Du Dich Abends schlafen legst, so denke Deine Mutter sagt: Gottes reicher Segen sei mit Dir!

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.11.1852
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 36120
ID
36120