Haeckel, Charlotte

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, [Berlin, 1. Februar 1854]

Mein lieber Herzens Ernst!

Von einem Tage zum andern hatte ich mit der größten Sehnsucht Nachricht von Dir erwarttet, und heute beim Aufstehen sagte ich zu Vater: von Ernst hören wir nichts, heute müssen wir schreiben; bald drauf kam Dein lieber Brief mit einem aus Ziegenrück. Hab herzlichen Dank dafür. Häckel hat Dir nun heute von der Taufe geschrieben, was ich dachte, daß er es schon von Ziegenrück aus gethan hätte. Einiges muß ich noch berichtigen, die Taufe war in Karls Stube, und gegessen wurde in Mimmis, wo wir den Tag vorher eigenhändig || gedeckt hatten, da es bekanntlich in Ziegenrück keinen Tafeldecker giebt. Großvater hatte die schöne seidne Taufdecke mitgeschickt, worunter wir Geschwister alle zur Taufe getragen sind, und die meine Großmutter Sack gestickt hat; das machte mir Freude; dann hatten wir aus meinem Hochzeitskleide ein Taufkleidchen für das Jüngelchen gemacht, darunter hatte er das rosa seidene Kleidchen, was Du und Karl bei der Taufe angehabt habt. Wie oft sagte ich in Ziegenrück ach wenn ich unsern allerliebsten || kleinen Kerl nur einen Augenblick Tante Bertha und Ernst zeigen könnte. Nun, hoffentlich giebt der liebe Gott dem kleinen Karl gedeihen, daß Du noch große Freude an ihm haben sollst. Im Ganzen haben wir Hermine wohl verlassen, einige kleine Quickereien waren wohl noch da. Auch war Karl in den letzten Tagen gefallen, und hatte sich die linke Hand beschädigt, doch schreibt Hermine heute es wäre noch schlimm gewesen, aber bessere sich jetzt. Hier haben wir Großvater sehr || wohl gefunden; und auch Tante Bertha viel besser, sie sitzt wieder auf und geht an Krücken umher. Deine alte Mutter ist aber recht krankschälig; doch versucht Quinke sie zusammen zu flicken; nun wir werden ja sehn was zu machen ist. –

Adolph Schubert ist eben hier, und spielt Klavier, er grüßt Dich herzlich. Onkel Julius fanden wir bei unserer Zurückkunft auch krank, doch ist er jetzt auf der Besserung. Onkel Christian hat bei uns gewohnt, er ist schon Donnerstag || wieder nach Stettin gereist. Ernst Reimer ist groß und stark geworden, die ganze Familie ist sehr glücklich über sein Hiersein, künftigen Freitag wird Mutter Reimer ihm zu Ehren einen Ball geben. Denk Dir, seit 2 Jahren hatte er keine Nachricht von den Seinigen gehabt, alle Briefe waren verloren gegangen.a

a Text weiter auf S. 4 von Br. A 35908: wieder nach Stettin … verloren gegangen.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
01.02.1854
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36090
ID
36090