Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 9. Juni 1862

Freyenwalde 9 Juni 62.

Mein lieber Ernst!

Am Freitag früh kehrte Carl von Dortmund zurük und schlug mir vor, mit ihm hieher zu reisen. Das nahm ich an und so bin ich seit Freitag Abend hier (heute ist es Montag). Es ist in den letzten 3 Tagen sehr heiß gewesen. a Vergangene Nacht haben wir ein Gewitter gehabt und es hat sich abgekühlt. – Mutter hat mir Deinen Brief vom 5 Juni nachgeschikt, worin Du uns Deine Ernennung zum Profeßor meldest. Das hat uns große Freude gemacht. Du hast nun einen bestimmten Beruf und damit ist viel gewonnen. Bei dem langen Gewühle im letzten Jahre hatte ich nicht so schnell auf Ernennung gerechnet. Dein Einkommen ist zwar vorläufig nur sehr kärglich, aber es ist doch ein Anfang und Du wirst Dich wohl durchschlagen. Zu Deinem häuslichen Leben und deiner häuslichen Wirthschaft erhältst Du von mir jährlich 200 ₰ und ich habe gestern an Minchen nach Heringsdorf geschrieben, Dir eben so viel zuzulegen. Du wirst also hoffentlich von beiden Eltern zusammen 400 ₰ erhalten. Dazu Deine Einnahme von circa 250 ₰ – 300 ₰ So kannst Du deinen Etat auf 650 ₰ machen, werden 700 ₰ daraus desto besser. Du bist ein guter Wirth und weißt mit Wenigem auszukommen. Wenn Anna dieses Talent noch nicht haben sollte, so mußt Du es ihr beibringen, sie muß sich nach der Deke streken lernen. Ich habe gestern auch an Anna geschrieben und ihr dieses ausdrüklich zur Pflicht gemacht. Wie haben Carl und Mimi mit ihren 5 Kindern das Eintheilen lernen müßen. Auch diese Aufgabe im Leben ist sehr gut, man muß nicht Sklave erweiterter Bedürfniße sein, die sich noch beschränken laßen. Ueberhaupt mußt Du Herr im Hause bleiben. Das ist eine wohl überlegte göttliche Anordnung und es straft sich, wenn sie vernachläßigt wird. Ich laße die Mutter in ihrem Wirkungskreise unbeschränkt walten und mische mich gar nicht darein. Die übrigen Hauptangelegenheiten bespreche ich mit ihr, höre ihren Rath und ihre Ansichten, berüksichtige mit Liebe ihre Wünsche, aber die Hauptentscheidung behalte ich mir. So muß es sein.

Am 4ten war General Versammlung der Westphalia in Dortmund. Ich hatte Carl hingeschikt um klar zu sehen, da die Rechnungsrevisions Commißion allerlei Monita gegen die Verwaltung und den Verwaltungsrath gemacht und die Verwaltung als sehr mangelhaft erklärt hatte. Mir kamen diese Monita bald im Anfang etwas verdächtig vor und ich vermuthete dahinter Persönlichkeiten, wenn auch etwas Wahres an der Sache sein mochte. Am 4ten ist es nun in der Generalversammlung sehr stürmisch hergegangen. Der Hannes Jacobi hat wohl durch sein imperatorisches Wesen seine Gegner gereitzt, er selbst versteht das Bergwesen gut und hat es, da seine Frau Miteigenthümerin der Franciska ist und er in diesem Wesen aufgewachsen ist, genau kennen gelernt. Er hatte mir auch im Januar über die Lage der Dinge genaue Auskunft gegeben. Die Sache liegt nun so: Wir haben im letzten Jahre sehr viel Schwierigkeiten zu überwinden gehabt, indem wir auf schlechtes Gebirge gerathen. Dieses ist nun beseitigt und wir sind jetzt auf gute Kohle gekommen, an welcher kein Mangel ist. Nun haben sich aber in den letzten 10-15 Jahren so viele neue Bergwerksetablißements gebildet, daß jetzt ein Ueberfluß vorhanden, und eine große Concurrenz, welche den Absatz sehr erschwert und so können wir schon jetzt die Kohle, die wir beschaffen könnten, nicht ganz los werden. Wir haben im vorigen Winter täglich 4000 Schfl. || und gegenwärtig im Juni (wo es immer am schlechtesten geht), täglich nur 2000 Schfl. abgesetzt, während wir, um eine leidliche Dividende zu bekommen, täglich im Durchschnitt 6000 Schfl. absetzen müßten. Das ganze Geschäft unterliegt also, wie jedes kaufmännische großen Schwankungen und wir müßen nun das Weitere abwarten. Ich habe bereits über 11000 ₰ eingezahlt und erhalte davon nicht 1 Groschen Zinsen, das reißt im Beutel. Indeß man muß Geduld haben. Die Umstände können sich wohl wieder beßern.

Der begonnene Sommer wird nun wahrscheinlich, wie folgt, eingetheilt werden: Nach dem 8 Juli werden Carl und ich nach dem Rhein reisen, Carl nach Ems, um dort die Kur zu gebrauchen, da sein Hals nicht ganz in Ordnung ist, ich nach Bonn, um unterdeß bei der Bleek zu bleiben, die mich aufs Dringendste eingeladen hat. Mutter wird während dieser Zeit hieher zu Mimi gehen. Mimi braucht die Emser Kur nicht so nöthig und hat überdem noch mehrere ihrer kleinen Kinder, die an Stikhusten leiden, zu besorgen. Mitte August wäre nun Deine Hochzeit in Berlin und Du machtest dann mit Anna Deine Reise. Minchen will dann nach Frankfurt übersiedeln und sich dort einrichten, vielleicht auch dann noch auf einige Wochen nach Heringsdorf gehn. Ich reise vielleicht noch mit Mutter, wenn die Gelder reichen, noch auf 14 Tage nach Hirschberg. Carl wird hier bleiben. – Daß Carl die Stelle in Ruppin nicht erhalten hat, hat so viel nicht zu sagen. Nur die dabei geübte Willkühr schmerzt. Vielleicht bekommt er künftig noch eine geeignete Stelle. – Daß Dich die Kantische Philosophie so anspricht, macht mir außerordentlich viel Freude. Denn sie hat auch mich in frühern Jahren sehr angesprochen, und ich halte sie wegen ihrer sittlichen Gründung, welche ganz die des Christenthums ist, sehr hoch. Ich bin in Berlin umher gegangen, um Dir die Kritik der reinen Vernunft zu kaufen. Unter 3 Thl. ist sie nicht zu haben. Vielleicht kannst Du sie in Jena wohlfeiler haben und vielleicht kannst Du den ganzen Kant, der immer einen sehr großen Werth haben wird und den Rosenkranz herausgegeben hat, zu einem billigern Preise haben, in Berlin ist er unter 10 ₰ nicht zu haben, das ist mir zu viel. Gieb mir hierüber nähere Nachricht. Ich lese jetzt die Sittengeschichte Roms aus der Kaiserzeit von Friedländer, die höchst intereßant ist. Nur durch die Geschichte lernt man die Bedeutung des Christenthums erst verstehen. Das Christenthum hat die Welt umgewandelt.

Ich habe hier in Freyenwalde die Adreße, wie sie endlich zu Stande gekommen und dem König überreicht ist, noch nicht gelesen. Es ist recht gut, daß wir eine Fortschrittsparthei haben, die alten Herrn in der Kammer sind zwar mit ihr nicht zufrieden und man hat bei den Wahlen die alten tüchtigen Liberalen sehr schlecht behandelt. Auch wird es sich bei der Diskußion der Gesetze zeigen, daß sie am meisten staatsmännischen Ueberblik haben und daß die jüngern Deputirten sie nicht entbehren können. Aber einseitig sind die alten Herrn auch, wenn die jüngere Generation weiter fortrüken will, so gefällt ihnen dieses nicht. Es wird Dir mit Deinem Buche und Ehrenberg eben so gehen. Es ist aber ein historisches Natur Gesetz, in welches sich die Alten finden müßen.

Sonnabend denke ich nach Berlin zurük zu reisen. Es ist hier sehr schön.

Daß Du gerade in Jena angestellt bist, freut mich ungemein. Meine wißenschaftliche Jugendbildung hängt an den Jenaschen und Thüringschen Geistern und Thüringen ist mir ein liebes Land. Künftigen Sommer, wenn ich noch lebe, hoffe ich einige Zeit bei Dir zu sein.

Carl, Mimi und die Kinder grüßen Dich aufs Herzlichste.

Dein

Alter

Hkl.

a gestr.: Die;

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
09.06.1862
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36046
ID
36046