Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 6. Oktober 1865

Berlin 6 Octob. 65.

Lieber Ernst!

Diesen Morgen haben wir Deinen Brief v. 4ten von Almers aus erhalten und uns sehr darüber gefreut, daß Du noch so gute Geschäfte in Helgoland gemacht hast. Aber mit dem Baden hast Du es übertrieben und Du hast es dabei doch nicht vermeiden können, Dich wieder zu erkälten. Nun halte Dich so, daß Du wieder ganz wohl wirst. Mutter und ich wünschen sehr, daß Du noch deine Reise nach Holland und dem Rhein machst. Der October ist so schön und was das a Reisegeld betrifft, so sollst Du Dich durchaus nicht geniren. Wir werden Dir die Reise sehr gern vergüten. Wir sind nun morgen schon 1 Woche wieder hier. Da ist Mutter sehr beschäftigt, alles zum Winter einzurichten. Die Motten waren in meinen Kleiderschrank gerathen und hatten dort arg gewirthschaftet. Auch muß Obst gekauft und für die Winterwirthschaft angeschafft werden. Der Beginn des Winterhalbe Jahres kündigt sich auf alle Weise an. Gestern Nachmittag fuhren wir nach Potsdam, um die v. Bassewitzschen Töchter zu besuchen, die wir seit ihrer Mutter Tode noch nicht gesehen haben. Sie waren aber alle verreist und kehren erst künftigen Monat zurük. Wahrscheinlich sind sie in Halle bei ihrem Bruder. Mutter hatte seit 30 Jahren den neuen Garten nicht gesehn. Aber wie fanden wir alles verändert, wir konnten uns kaum zurechtfinden und alles war uns fremd. Ganz Potsdam erschien uns wie ein ganz fremder Ort, aus welchem nur Ueberbleibsel aus der Vergangenheit hervortauchten. Das war ein sehr wehmüthiges Gefühl und so schön der neue Garten ist, so wollte uns dieses Gefühl doch gar nicht verlaßen. In der Stadt weisen die Häuser die wir bewohnt und deren Bewohner wir damals gekannt immer wieder auf diese Vergangenheit hin, kurz wir konnten uns der Wehmuth gar nicht erwehren. Auf dem Rükwege giengen wir unter dem Pfingstberge weg durch das rußische Dorf über die neue Anlage nach Sans-Soucis und kamen um 6 Uhr sehr müde im Hause des Oncle b Julius an, || wo wir Frau und Kinder, denen es wohl geht, zu Hause fanden. Adelheid ist die Kur in Kösen wohl bekommen eben so Bertha Pine jetzt der Aufenthalt in Harz, sie sieht sehr wohl aus. Auch fanden wir die Frau Mommsen mit ihren Kindern vor, mit denen wir nach Hause fuhren. Um 8 Uhr waren wirc wieder hier. Recht contrastirend ist das Gefühl, was uns gestern so überwältigt hatte, mit dem Eindruk, den der Aufenthalt in Landsberg bei mir hinterlaßen hat. Dort volles frisches Leben unter den lieben Kindern, der Ort selbst durch den Verkehr sehr lebendig, während Potsdam ganz todt erscheint, besonders wenn man aus dem lebendigen Berlin kommt. Ich habe in Landsbergd sehr fleißig in Ritters Vorlesungen die vor einem Jahre besonders herausgekommen sind und hauptsächlich die geographische Beschreibung Europas zum Gegenstande haben, studirt, unbeschadet des Umgangs, den ich der Familie widmete. Den Vormittag bis 1 Uhr und Nachmittag von 3-5 Uhr war Carl auf dem Gericht und gegen Abend giengen wir meist in Begleitung einiger Kinder spatzieren und Abends wurde v. mir und Mutter mit den beiden ältern Knaben und Carl Triktrak gespielt. So sind uns diese 3 Wochen sehr schnell vergangen und es hat mir ganz ungemein wohl gethan, mich in diesem Familienleben ganz einzuwohnen. Ich habe es sozusagen mit mir genommen und trage es immerfort bei mir, während ich Potsdam ganz entsagt habe, ich meine das Potsdam, welches ich früher dort durchlebt und ganz hinter mir liegt, wobei ich Julius Familie und auch die hübsche Gegend ausnehme. Aber ich kann sie nicht rein genießen, weil mir immer das alte Potsdam entgegentritt.

Daß ich dagegen Landsberg so nahe habe und es in 4 Stunden erreichen kann, thut mir ungemein wohl. Landsberg kommt mir gar nicht wie eine gesonderte Existenz vor, sondern wie eine nahe Nachbarschaft, die ich in wenigen Stunden erreichen kann. – Das Studium von Ritters Vorlesungen hat mich sehr erquikt, besonders lebhaft haben mich die Beschreibung von Griechenland, von Italien, den Schweitzer Alpen || und von Spanien in Anspruch genommen, welche jedes in seiner Art sehr intereßant sind. Griechenland habe ich mir gar nicht so bergigt, Athen als in einer Ebene liegend gedacht; wogegen es ja von hohen Bergen (der Parnaßus 8000 Fuß hoch) strotzt, ich trage jetzt ein ganz anders Griechenland in meinem Kopf herum, auch die Beschreibung des Ural und der östlichen Stromgebiete ist sehr intereßant. Vor allem aber unsre liebe Schweitz, die Ritter wie sein Schoßkind und mit Recht vor allen andern liebt. Auch Spanien ist höchst eigenthümlich, sehr abgeschloßen und voller Plateaus; die nördlichen Provinzen ganz gebirgt, der ganze Norden Spaniens sehr kalt, der Süden dagegen ein ganz andres Land, das genau mit dem mittelländlichen Meere e und dem nördlichen Afrika zusammenhängt und wo das herrlichste südlichste Klima mit reichen, gewerbreichen Städten und fruchtbaren Thälern vorherrscht. – Ich bin auf diese Weise in Europa ganz einheimisch geworden und knüpfe nun die Geschichte daran, die der Mensch gemacht, wobei aber die Natur des Landes und seine Umgebungen ins besondre das mittelländische Meer, was man ein Kulturmeer nennen muß, sehr eingewirkt hat. In Italien und der Schweitz bin ich ganz zu Hause und habe immer die Karten vor mir liegen, um mich speciell zu orientiren. – Tante Weiss ist wieder zu Hause und wohl, sie ist 3 Wochen in Stollberg gewesen. Barth wird heute aus der europäischen Türkei zurükkehren.

A Dieu mein lieber Ernst. Unterlaße nicht, die Reise nach Holland und dem Rhein zu machen. Die Winter Collegia beginnen ja doch erst mit Anfang Novemb. – Uebrigens denke ich noch mit dem größten Vergnügen an Jena, wo es mir so ungemein wohlgefallen hat.

Dein Alter Hkl

a gestr.: Geld; b gestr.: Ernst; c eingef.: wir; d gestr.: dort; eingef.: in Landsberg; e gestr.: zu

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
06.10.1865
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 36027
ID
36027