Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 6. März 1860

Berlin 6 Merz 60.

Lieber Ernst!

Wir sprechen hier schon täglich von Deiner dortigen Abreise und sind voller Erwartung über Deine Rükkehr. Wir nehmen nun an, daß Du Ende dieses Monats von dort abreist und über Paris und Bonn hieher zurükkehrst und daß Du spätestens Mitte Aprill a und zwar so Gott will gesund hier eintrifst. In Paris kannst Du Dich nur wenige Tage aufhalten, Du kannst ja doch wieder hin, um Dich dort einmal ordentlich umzusehn. In Bonn bist Du bereits angemeldet, Du logirst bei Tante Bleek. Anna wird Mitte Mai mit ihrer Mutter nach Heringsdorf und den ganzen Sommer über dort bleiben. Du mußt also die Zeit wahrnehmen, um von Mitte b Aprill bis Mitte Mai mit ihr hier zusammen zu sein. Wir haben über diesen Punkt Deinen letzten Brief nicht verstanden, in welchem Du anzunehmen scheinst, daß Anna im Sommer hier sein werde! – Im Sommer wird Adolphs und Ottilies Hochzeits sein und ich wahrscheinlich hinreisen, vielleicht auch Mutter, die jedenfalls nach Teplitz gehen soll. – Adolphs Verlobung war eine schwere Geburt. Sie hat uns viel Noth und Sorge gemacht. Es kam alles darauf an, Ottilie ganz freie Wahl zu laßen und ihr nicht zu zureden. Dazu war ihr Aufenthalt hier bei uns sehr gut. In Hirschberg würde sie von ihren Tanten sehr geängstigt worden sein. Hier bei uns hat sie niemand gedrängt. Adolph ist außerordentlich verschloßen. Gegen unsre Mutter, die als die seinige betrachtet, ist er noch am offensten. Er hat schon vorigen Sommer und Herbst immer geschrieben, daß er eine Frau haben müße, ohne käme er zu keiner Ruh. Im Herbst kam er her und wiederholte dieses. Mutter und ich sagten ihm: er müße sich eine suchen, sie werde ihm nicht auf dem Präsentirteller gebracht. Nun hat es sich jetzt gezeigt, daß er eigentlich schon seit Jahren eine Neigung zu Ottilien gehabt. Die Tanten in Hirschberg haben alles verdorben, indem sie Ottilie gedrängt recht freundlich gegen ihn zu sein. Dieses hat sie um so zurükhaltender gemacht und dieses wiederum ihn um so zurükhaltender gegen sie. Inzwischen wuchs sein innerer Drang sich zu erklären, er fürchtete aber abschlägliche Antwort und wurde immer mistrauischer. Im Herbst als er hier war und seinen dringenden Wunsch zeigte zu heirathen und wir ihm sagten: daß er dem Mädchen, das ihm gefalle, seine Neigung zeigen müße, reiste c er plötzlich nach Hirschberg von hier, traf aber Ottilien nicht, die in Lauban war, aber im Decmb. nach Hirschberg zurükkehrte. Auch hier konnte er zu keinem Entschluß kommen. Nun reiste Ottilie zu uns und er ihr binnen kurzer Zeit nach. So kam er hieher. Dein Bruder Carl erklärte ihm, er müße entweder jetzt seinen Antrag machen, oder wieder abreisen. Nun erfolgte ein schriftlicher, sehr förmlicher Antrag und nun gieng hier die Geschichte los. Ottilie erwiederte ihm, sie könne nicht ohne ihre Eltern handeln und müße ihn erst näher kennen lernen, denn bei seinem bisherigen Benehmen sei er ihr so gut wie fremd. Er habe aber täglichen Zutritt bei uns und könne diesen benutzen. Nun wollte der Himmel, daß er (wahrscheinlich infolge innrer Verängstigungen) einen kurzen leisen Anfall von fixen Ideen bekam. Er glaubte von den Jesuiten verfolgt zu werden. Ottilie sah dieses. Wir legten ihr nun aufs Herz, aufs Ernstlichste allesd zu prüfen, indem sie in der Ehe vor solchen Anwandlungen nicht ganz sicher sei. So gieng die Sache einige Wochen. Adolph drängte um Erklärung von Seiten Ottilie. Sie gewann die Ueberzeugung, daß Adolph sie liebe und daß ein Zurükstoßen in ganz unglüklich machen würde. Sie gab ihr Ja Wort und die Eltern willigten ein. Diese Wochen des Schwebens waren eine schwere Zeit. Wir hielten nur darauf, daß Ottilie alles wohl überlege und ganz freien Entschluß faße. So ist nun endlich die Sache zu Stande gekommen. Gebe Gott seinen Segen. – Ich sehne mich sehr nach dem Frühling. Der Winter ist sehr lau und unbeständig gewesen, einige Tage Frost, dann wieder Regen. In diesen Tagen hat es viel geschneit, aber der Schnee zergeht sogleich. Ich höre mein Collegium bei Droysen, lese, schreibe, mache Besuche, Abends von 8 Uhr ab bin ich immer bei Mutter. Vor 8 Tagen hatten wir ein kleines Herrn Diner, wobei auch D. Barth (der Afrikaner) war, deßen nähere Bekanntschaft ich gemacht. In den Kammern geht es sehr lebhaft zu, die Gutsbesitzer sollen Grundsteuern zahlen, werden sie schwerlich e werden. Für das Militär werden große Summen verlangt, auf welche die Kammer nicht eingehen werden, und so ist alles in großer Aufregung. – Gott gebe nur, daß Du glüklich nach Marseille kommst, da jetzt so viel Stürme sind. Du wirst nun bald unsern letzten Brief erhalten. Vorgestern gieng Dein letzter hier ein. Mutter ist recht munter. Dein Dich liebender Vater Haekel

a gestr.: wiede; b gestr.: Mai; c gestr.: ab; d eingef.: alles; e Textverlust durch Ausriss;

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
06.03.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35995
ID
35995