Haeckel, Carl Gottlob

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 1. September 1855

Berlin

1 Septemb. 55.

Lieber Ernst!

Vorgestern haben wir einen Brief an Dich nach Meran abgeschickt. Nachdem wir heute früh (1 September) Deinen Brief aus Gastein vom 27sten erhalten haben und wir wißen, daß Du zum 4ten in Meran sein wirst, will ich Dir noch ein paar Zeilen antworten.

Zuförderst freut es uns ganz ungemein, daß Deine Reise so glüklich und gut von statten geht. Sei nur bei allen Naturgenüßen auch vorsichtig, laß Dich nicht auf sehra gewagte Unternehmungen ein und nimm Deine Gesundheit auf eine vernünftige Weise in Acht. Gieb uns auch Nachricht, in welche Richtung Du und bis wohin Du Deine Reise fortzusetzen gedenkst. Ich besuchte heute früh einen Herrn, der eben von einer Reise nach Paris, dem südlichen Frankreich und der Schweitz zurükgekehrt war, die er mit einem Freunde zusammen gemacht hatte. Sie waren in Genf, Chamouny etc. gewesen und hatten nach Italien reisen wollen, hatten es aber unterlaßen, weil im nördlichen Italien, Mailand etc. die Cholera so wüthete. Du wirst wohl unter diesen Umständen nicht nach Italien gehen, wenigstens nicht in die Gegenden, wo sich die Cholera gezeigt hat, Du kannst ja Italien zu einer andern Zeit sehen und wirst wohl die Alpen noch öfterer sehen, um von da einmal nach Italien überzusetzen. Du hast nun noch den ganzen September und kannst noch viel sehen, auch wirst Du das Bedürfniß empfinden, einmal auf einige Tage zu ruhen, denn man kann von dem vielen Sehen herrlicher Naturschönheiten zuletzt völlig erdrükt werden, so daß || man sich nach Erleichterung sehnt, um das Gesehene in sich richtig zu verarbeiten. So gieng es auch mir auf der Schweitzer und Tyroler Reiseund ich fand da in Meran einen sehr guten Ruhepunkt. Wir wollen Dich indeß in dem Hauptzwek Deiner Reise keinesweges beschränken, wünschen aber doch, wenn Du zurük bist, eine recht vollständige Mittheilung von Dir, Du wirst auch hierüber mahl etwas Schriftliches aufsetzen, zu Deiner eigenen Erinnerung in der Zukunft. Am liebsten wäre uns, wenn Du nach Beendigung Deiner Reise und ehe Du Deine Arbeiten in Würzburg wieder antrittst, auf einige Tage zu uns hieher kämst. Das wäre zugleich eine Erquikung für Mutter in ihrer Krankheit. Diese dauert nun schon 2 Monat und ist jetzt im Abnehmen. Quinke ist mit dem Fortschritt in der Genesung sehr zufrieden. Aber diese Genesung darf nur sehr allmählich erfolgen und es wird noch einige Monat dauern, ehe Mutter wiederhergestellt ist. Sie hat seit 14 Tagen die Sassa parilla genommen, in Folge deren sie sehr transpirirt und tüchtig abführt. Dies greift sie sehr an und obwohl der Ausschlag sehr abgenommen wird sie doch noch sehr von demselben gepeinigt. Es ist eine böse Krankheit, die außerordentlich viel Geduld erfordert. Wir müßen aber aushalten und uns mit der Aussicht trösten, daß Mutter wieder geheilt wird. – Da Carls Versetzung nach Freyenwalde nunmehr entschieden ist, so werde ich morgen mit Julius, Tante Adelheid und Anna nach Freyenwalde, um dort wo möglich ein Quartier für Carl und seine Familie zu miethen. Zum 1 Januar soll er sein Amt antreten. Ende October wird Mimi nebst den Kindern wohl zu uns kommen und bei uns bleiben bis Carl || sie zu Weihnachten abholt. In circa 4 Wochen (in den letzten Tagen des September) werden wir unsern Umzug in das neue Quartier N. 2. des Havenplatzes halten. Das wird einige Unruhe geben, eine Hauptsache dabei wird sein, daß sich Mutter in ihrer Krankheit sehr ruhig verhält und sich nicht erkältet, da ihre Haut jetzt außerordentlich reitzbar und anfällig ist. Ich werde schon aufpaßen, daß nichts geschieht, was Mutter in ihrer Genesung zurüksetzt. Tante Bertha geht es gut. Theodor und Carl Sethe sind heute vom Manöver zurük, was Theodor nur mit Mühe überstanden hat, dab das Wetter vor einigen Tagen ungemein heiß war. Johannes ist gestern abgereist und geht an den Rhein zurük. –

Gehst Du auf unsern Vorschlag ein, uns nach Deiner zurükgelegten Reise auf einige Tage zu besuchen, so wird es wohl am besten sein, wenn Du erst nach Würzburg zurükgehst, dort Dein Reisebündel ablegst und dann per Eisenbahn hieher kommst und die Kleider und Wäsche mitbringst. –

Adolph ist in seiner Genesung sehr vorgeschritten, aber das Seebad, was doch in Kiel so mild ist, hat er schwer vertragen. Er sehnt sich zum Winter aus der Anstalt fort und wo möglich aufs Land, um sich allmählich wieder an den Umgang mit Menschen zu gewöhnen, nach dem er sich zu sehnen anfängt und sich mit der Oekonomie bekannt zu machen. A Dieu mein lieber Ernst, habe Dank für die kleinen Geschenke aus Berchtesgaden, dorthin war mein 2ter Brief addreßirt und da muß er liegen. Laß ihn Dir nur nachkommen und triff die Einrichtung, daß unsre Briefe, wenn sie zu spät ankommen, Dir nachgeschikt werden.

Dein Dich liebender Vater

Haeckel

a eingef.: sehr; b korr. aus: das

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
01.09.1855
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 35972
ID
35972