Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Karl

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Ziegenrück, 4./5. August 1855, mit Beischrift von Karl Haeckel

Ziegenrück 4 August 55.

Mein lieber Ernst!

Nach einer sehr heißen Reise kamen wir am Mittwoch Abend in Hof an, übernachteten dort und fuhren am Donnerstag frühzeitig mit in Gefell unterlegter Gelegenheit hieher. Es trieb micha zu Mutter, wir kamen zum Mittageßen an. Es ist mit Mutter wenigstens nicht schlimmer, die Augen sind etwas beßer geworden. Das Gesicht ist ganz roth von Ausschlag, der sie auch nach andern Theilen des Körpers plagt. Sonst ist Mutter munter. Mimi befindet sich sehr wohl und der kleine Herrmann hat in den 3 Wochen ganz auffallend zugenommen. Wir erwarten nun heute Abend Gelegenheit von Jena, die uns morgen Mittag bis Apolda bringen soll, so daß wir morgen Abend in Berlin einzutreffen gedenken. Hier wird Mutter die bisherige Kur fortsetzen, bis Quinke in 8 Tagen zurükkommt, wo dann erst die Hauptkur beginnen soll. Tante Minchen und Bertha reisen morgen mit nach Berlin. Das Wetter ist fortdauernd gut gewesen, nur vorige Nacht haben wir ein Gewitter gehabt. Gestern sind wir zu Wagen über Paska und Alten Beuthen nach Drognitz und von da bis in den Ottergrund gefahren. Dort trafen wir bei der Mühle den Doktor und Frau und das Fräulein, was bei ihnen zum Besuch ist. Carl, Minchen, Bertha und ich kamen von Drognitz herunter und waren noch ein Stük gefahren. Wir blieben bei der Mühle 1 Stündchen, der Müller und Frau waren nicht zu Hause, sodann gingen wir durch den Grund auf dem Fußsteige bis auf die neue Chaussee auf dem Berge, wohin man zuletzt gewaltig steigen muß und kamen sehr müde um 7 Uhr nach Hause, wo Mutter und Mimi schon unsrer warteten. Heute wird eingepakt. – Ich habe nun beinah 2 Monat ein rechtes Naturleben geführt und viel schöne Natur gesehen. Franken hat doch einen viel südlichern Anstrich als Thüringen. Nun müßen wir in die sandige Mark zurük. Allein die Environs in Berlin sind doch auch nicht übel und dann finden wir unsre lieben Verwandten und Freunde dort. Ich werde Weiss auch in Berlin treffen. Nun wird es an ein ernstliches Kuriren der Mutter gehen.

Dir wünsche ich zu Deiner Reise gutes Wetter und Zusammentreffen mit guten, lieben und gebildeten Menschen. Beachte die Lehren Deiner durch Lebenserfahrungen gereiften, Dich innigst liebenden Eltern. Streife Deine Einseitigkeiten und Marotten, mit denen Du behaftet bist, immer mehr ab. Erhalte Dir die Reinheit Deines Herzens, suche Dich aber unbeschadet deßelben immer mehr in die Welt, mit der Du leben mußt, zu finden. Wir können unsern Beruf auf dieser Welt nicht erfüllen, wenn wir die Menschen durch allerlei Ekigkeit und Sonderbarkeit von uns abstoßen. Wir können nur auf sie wirken und wiederum die äußern Verhältniße wohlthätig auf uns wirken laßen, wenn wir es lernen, mit ihnen umzugehen und uns mit ihnen und in ihnen zu bewegen. Hüte dich vorb Knauserei, die den Anstrich von Gemeinheit annimmt, dies wendet die Menschen von uns ab und raubt uns ihre Achtung. Ein edles Gemüth muß c trotz aller vernünftigen Sparsamkeit auch die nöthige Freigebigkeit und Würde bewahren. Das mußt Du noch lernen, das kannst Du von Deinen nächsten Verwandten und Freunden, die einfach und sparsam, aber frei von aller eigennützigen Gemeinheit sind. – Nimm auf der Reise Deine Gesundheit in Acht, vermeide alles Tollkühne und Gewagte, nimm Dir die nöthigen Führer und schreibe uns, sobald Du auf der Reise einen Ruhepunkt gefunden haben wirst. Dein Dich liebender Vater Haeckel ||

[Beischrift von Karl Haeckel]

Zgk 5 August 1855.

Lieber Bruder!

Vater gab mir gestern umstehenden Brief, um ihn Dir heute zuzuschicken. Ich füge seinen Wünschen die innigsten meinigen für die glückliche Zurücklegung der bevorstehenden Reise hinzu und hoffe, daß sie Dir dieselbe Freude machen wird, wie mir diejenigen in den Jahren 1844 u. 1845. Halte Dich nur in allem gesund u. nimm Dich um Deiner u. der Deinen willen in Acht. Die Mutter bindet Dir das noch besonders aufs Herz. Sie war gestern u. vorgestern recht bewegt; sie macht sich zu schwarze Gedanken über den Verlauf ihrer Krankheit. Heute früh sind die Aeltern mit Mutter Minchen und Bertha nach Apolda abgefahren. Sie werden angenehmes, kühles Wetter ohne Regen haben. Gebe Gott, daß Mutter der es im Ganzen doch besser geht, als vor 14 Tagen, die Reise gut übersteht. Unser Haus ist nun recht leer. Doch werden wir wohl noch im August einen Besuch von Schwager Jacobi mit Mutter u. Schwester erhalten. In der nächsten Woche (die heut beginnt) werde ich viel zu thun haben; nachher hoffe ich die Ferien noch etwas genießen zu können. Mimmi u. die Kinder sind recht munter, worüber wir recht glücklich sind. Die kleine Exkursion ist für mich recht wohlthuend gewesen. Dir, lieber Bruder, sage ich noch meinen herzlichsten Dank für die freundliche Aufnahme. Grüße alle Deine Bekannten bestens und behalte lieb Deinen treuen Carl

NB. Mit Hℓ Bundschuh habe ich gesprochen; er wird Dir die 150 rℓ mit Vortheil für Dich einzuwechseln behülflich sein. – Den Hospitalwein läßt Du per Spediteur an mich abgehen. Ich werde ihn bei Hℓ Johann Gottlieb Meyer zu Schleiz an den er zu adressiren ist, abholen lassen.

Dein CH

Mimmi läßt herzl. grüßen, sie ist grad beschäftigt. Vergiß nicht die Gebr. Giacomozzi mit ihrem Cypernwein in Venedig heranzusuchen.d

a eingef.: mich; b gestr.: übertriebener; c gestr.: die; d Beschluss auf dem linken Rand: Mimmi läßt … Venedig heranzusuchen.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
05.08.1855
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 35907
ID
35907