Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Karl

Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 15. März 1862

Berlin 15 Maerz 62.

Mein lieber Ernst!

Ich muß Dir doch bald schreiben, da Du in Politicis einiges Licht zu haben wünschst.

Wir bekommen wahrscheinlich ein gemäßigtes reaktionäres Ministerium, obwohl für den Augenblik die Sache noch im Dunkel liegt. Zur Aufklärung kann ich Dir folgendes mittheilen. Vor Auflösung der Kammer gelangte der Deputirte v. Sauken-Julienfelde, der den König von Jugend auf kennt und auf den der König sehr viel hält, ein liberaler besonnener Mann zum König, um ihn ganz offen über die Lage der Dinge aufzuklären. Dabei ließ sich der König folgender Weise aus „Er schwärme nicht für die Constitution, aber habe nun einmal die Krone mit der Constitution überkommen und diese beschworen und er werde sie halten. Die Fortschrittsparthei wolle den Schwerpunkt der Regierung in das Abgeordnetenhaus legen, das gehe wegen der politischen Verhältniße Preußens nach Außen nicht an, diese erforderten vielmehr ein starkes Königthum. Wäre er Herzog von Meiningen etc., so würde es ihm ganz gleich sein, ob der Schwerpunkt im Abgeordnetenhause od. in der Krone liege. Da er aber König von Preußen sei und die Pflicht habe, diesen Staat aufrecht zu erhalten, so müße er das Königthum stark und mächtig erhalten.“ Sauken hat ihm bemerklich gemacht, daß Anstalten zu Rüstungen notorisch geworden wären und das Volk dieselben als gegen sich geführt betrachte und daß das Volk über dieses Mistrauen höchst erbittert sei, da an Aufstand gar nicht zu denken sei. Darauf hat der König erwidert: „die Voranstalten zu Rüstungen seien allerdings begründet, aber nicht gegen das Volk, sondern um nöthigenfalls die Grenzen von Hessen mit einigen Armee Corps zu besetzen.“ Sauken hat ihn a gebeten, im Fall der Kammerauflösung durchaus jede militärische Vorkehrung zu Dämpfung eines etwaigen Aufstandes zu vermeiden, da eine solche Besorgniß durchaus unbegründet sei. Es ist denn auch in diesen Tagen keine solche Vorkehrungen getroffen worden und die Auflösung ist ganz ruhig vorüber gegangen.

Ich habe seit 60 Jahren vieles erlebt. Der jetzige König ist ganz der Sohn seines Vaters, redlich und brav, aber voller Unentschloßenheit. Ich mache jetzt zum 2ten Mahle durch, was ich schon vor 40 Jahren erlebt habe. Damals gelang es den Absolutisten und der Junkerparthei, den König gegen alle Constitution mistrauisch zu machen, (der Mord Kotzebus durch Sand war die Hauptveranlaßung und Oesterreich führte die Karlsbader Beschlüße zur Verfolgung der Demagogen herbei, um die Constitution in Preußen zu hintertreiben). Jetzt hat das unvorsichtige Benehmen der Fortschrittsparthei, b welches die Umgebungen des Königs auf alle Weise benutzen, um die Reaktion wieder hervorzubringen (der Prinz Carl, die Radziwills etc.) den König ebenfalls mistrauisch gemacht, wie er es schon seit einigen Monaten gewesen und das dumme Benehmen der Fortschrittsparthei gegen Patow, der ja zur Specialisirung des Budgets geneigt war, aber es für den Augenblik für ausführbar erklärte, hat dem Faß den Boden ausgestoßen. Es würde übrigens bei Bewilligung des Militärbudgets wahrscheinl. doch zur Auflößung gekommen sein, wenn der König auf keine Reform des Herrenhauses (die jetzt sogar von der Spenerschen Zeitung verlangt wird) c eingieng. Der König hat wiederholt erklärt: er werde mit den innern Reformen (also auch mit der Kreis- und Gemein-Ordnung) vorschreiten. Wie er dieses mit diesem Herrenhause auszuführen gedenkt? ist gar nicht abzusehn. Vielleicht giebt er, wie bei der Grundsteuerfrage nach, um sich zu halten. Ich glaube es aber nicht, denn d eine vernünftige Kreisordnung schneidet zu sehr in ihr eigenes Fleisch. Mann erwartet daher den Austritt der liberalen Minister und reaktionäres Ministerium, aber viel milder als das Manteuffelsche. Das wird der Fortschritt sein, den die Fortschrittsleute zu Wege gebracht haben. Es ist wahrlich darüber nicht zu frohloken. Denn wir werden einige schwere Jahre haben, vielleicht bis zum Ausbruch eines Krieges, den der König ohne große Opfer von Seiten des Volkes nicht führen kanne und wo dann das reaktionäre Ministerium sogleich zusammenstürzt. Der König ist beschränkt und sich nicht klar. Die Macht des Königthums ist bei uns nur dann vorhanden, wenn es durch das Volk aus allen Kräften unterstützt wird, nur so können wir dem Ausland imponirn. Das Volk wird aber nur dann große Opfer bringen, wenn Preußen nicht allein eine seiner möglichen Macht würdige Politik nach Außenf führt, sondern auch das Junkerregiment im Innern, was aufs äußerste verhaßt ist, aufgehoben wird. Aber der König wird so von allen Seiten bearbeitet, es wird ihm so viel vorgelogen und bange gemacht, daß er glaubt, der Stütze der Junkers nicht entbehren zu können. || Die Zeit wird das Weitere lehren. Wenn er selbst unter einem reaktionären Ministerio sehen wird, daß das Volk nicht über seine verfaßungsmäßigen Rechte hinaus will und dieses Ministerium sich festgeritten haben wird, dann wird er wohl umkehrn, wie es sein Vater that, als er sah, daß alle die Lügen über Revolution durch Demagogen zu Waßer wurden. – Es hat sich in den letzten Wochen gezeigt, daß den Kämpfern der Fortschrittsparthei die Volksgunst über alles geht (Schulze, Waldek) dieses schmeichelt ihrer Eitelkeit und sie wollen als Kämpfer eine Rolle spielen. Von Virchowg glaube ich das nicht, er hat den Kopf voll von den liberalsten Ideen und weis als Idealist nicht ob undh wie er sie verwirklichen könnte. Wer aber auf dem Boden der Geschichte und der Erfahrung steht, der sieht die Sachen anders an. Ich habe an Preußen sehr viel auszusetzen, es hat etwas hochmütiges, schroffes, militärisch pedantisches, es ist aber auch die Stütze des Protestantismus in Deutschland und i deßen Stütze nach außen, darum müßen wir es zu erhalten suchen. Da das Volk in einer großen Entwikelung begriffen ist, j und die Regierung ohne das Volk nicht bestehen kann, so muß sie auch immer liberaler werden. Zeit und Stunde läßt sich auf die Minute nicht bestimmen. Man muß manchmal einige Tage warten. Vor allem muß dem König die Furcht benommen werden, daß das Volk revolutionär, d. i. über die Verfaßung hinaus will. Er soll geäußert haben, er habe selbst die Ueberzeugung, daß die Junkers keine guten Patrioten wären, d. i. die bestimmungsmäßige Größe Preußens nicht wollten. Aber er schließt sich aus Furcht, daß die unbeschränkte Demokratie die Herrschaft bekommen und Preußen durch Anarchie ruiniren werde, an die Aristokraten an. Daraus folgt nicht, daß die Liberalen zu allem Ja sagen sollen, was der König will. Sie müßen selbst unter einem reaktionären Ministerio alles unterstützen, was dieses etwa Vernünftiges bringen sollte. Aber gegen daßelbe in allem was die Junker Herrschaft begünstigt und den liberalen Fortschritt aufhält feststehen. Der militärischen Ausbildung des Volks und was nöthig ist, um als Großmacht in Deutschland und Europa aufzutreten, dürfen wir selbst unter einem reaktionären Ministerio nicht entgegen sein, aber unnützen Aufwand müßenk wir so viel als möglich (denn einiges werden wir dem Könige, da es sein Stekenpferd ist, nachsehen müßen) zu verhindern suchen. Es ist viel genug gewonnen, daß er an der Verfaßung halten will. In England hat es eine Reihe von Königen (selbst unter Georg II) versucht, die Verfaßung zu durchlöchern, Preußen hat das besondere Glük, daß sein König nicht mit dem Volke gehen muß, wenn es ihm um Preußens Größe gelegen ist. Die Geschichte geht aber in lauter Schlangenwindungen, nicht gradeaus, und in eine solche Windung sind wir jetzt eben wieder getreten. – Also die geschichtliche Entwikelung darf man nie aus den Augen verlieren, sie steuert auf das Ziel los, was die Liberalen wollen, auf eine volksthümliche Regierung, aber auf Umwegen und es ist schon ein großer Schritt vorwärts, wenn das Volk sich bei den jetzt bevorstehenden Wahlen durch die Junkers nicht einschüchtern läßt, sondern in der Majorität gemäßigt liberale Männer wählt, die nicht leidenschaftlich alles von sich weisen, was von dem künftigen Ministerio kommt, ihm aber auch entgegentretenl, sobald es Feudalinstitutionen aufrecht erhalten will.

Dein Alter Hkl

[Nachschrift Karl Haeckels]

Alter Junge! Nun geht die alte Arbeit wieder an! – Recht unnütz; die Regierung täuscht sich, wenn sie denkt, bessre Wahlen in ihrem Sinne zu erhalten, die altliberalen werden Noth haben, ihre Leute wieder durchzubringen. Die Veranlassung zur Auflösung konnte von der Regierung nicht ungünstiger gewählt werden – bei einer Frage, die dem Verständniße der Massen gänzlich fern liegt, u. die zugleich innerhalb der liberalen Mittelfraktion (wie ja auch die Abstimmung zeigt), nicht als eine prinzipielle betrachtet werden kann. So weit ich die Budgetfrage verstehe, stimme ich der Erklärung der Grabowschen Parthei hierüber bei, die Du in der Berliner Allgemeinen Zeitung findest. Auch gegen das Programm der Constitutionellen, – falls es fest eingehalten wird – läßt sich nichts sagen. Aber trotzdem würde ich einen Abgeordneten wiederwählen, der fast mit diesen Ansichten übereinstimmend für den Hirsch- Antrag gestimmt hat. Wenn sich das Ministerium, wie es jetzt den Anschein hat, im konservativen Sinne purifizirt, so ist doch wenigstens eine Einheit in diese Region erzielt.

Herzl. Gruß von Deinem Karlm

a gestr.: be; b gestr.: den König; c gestr.: nicht; d gestr.: die; e eingef.: kann; f eingef.: nach Außen; g irrtüml.: Wirchow; h eingef.: ob und; i gestr.: seine; j gestr.: so ist das; k gestr.: mehr; eingef.: müßen; l korr. aus: entgegenste; m weiter am Rand v. S. 2: in diese Region... von Deinem Karl

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
15.03.1862
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35900
ID
35900