Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Ziegenrück, 18. Oktober 1855

Ziegenrück 18 October

1855.

Lieber Bruder!

Aus einem heute von Berlin gekommenen Briefe erfahre ich, daß Du erst am 13 oder 14t. d. M. nach Würzburg heimgekommen bist und die Rücksendung Deiner Briefe wünschest. Ich lege den ersten an die Aeltern – mehr haben Sie mir nicht geschickt – und den zu meinem Geburtstag bei, mit der Bitte um Rückgabe des letzteren an mich. Schreibe nur das ausführliche Tagebuch recht bald und sende was fertig ist zuerst an mich. Hörst Du! Ich werde nämlich vom 27st. d. M. ab Strohwittwer sein und brauche dann um so mehr dergleichen Aufheiterung, verspreche Dir aber auch die einzelnen Sendungen schleunigst weiter zu befördern. Schreibe nur auf alle Briefe: per Coburg und Poesneck. Sie kommen dann rascher an.

Daß Du von Deiner Reise so sehr befriedigt bist, und Dich durch dieselbe körperlich und geistig so vortheilhaft verändert fühlst, freut mich sehr. Es ist eine solche Reise für jeden ein herrlicher Genuß, für den Naturforscher aber natürlich in zehnfachem Maaße. – Für dies Leben u. Wirken in Deinem Berufe kannst Du Gott recht danken. Es ist doch eina herrliches Geschenk der Natur u. der Vorsehung. Wie ganz anders ist Einem zu Muthe, wenn man vorzugsweise nur durch das Bewustsein, seine Pflicht erfüllen zu müssen, in seinem Berufe frisch erhalten wird. Die eigentliche treibende innre Lebensthätigkeit geht Einem daher doch ab; man schafft nicht mit der wahren Lust und Liebe zur Sache. – Kurz – die Juristerei, wie sie || unser Einer treiben muß, d.h. der Kgl. Preuß. Einzelrichter, ist doch eine trockne u. triste Materie, vielfach wenigstens. – Doch genug davon.

Wie freue ich mich, daß ich von Freienwalde aus doch wenigstens mehr u. leichter unter Menschen sein werde, mit denen ich mich gern innerlich so recht ausspreche. Und dazu gehörst vornehmlich auch Du, lieber alter Junge! –

Seit meinem letzten Briefe bin ich in Erfurt, zu den Abgeordneten-Wahlen am 8 October, gewesen. Ich nahm das Amt des Wahlmannes gleich mit der nöthigen Resignation an, daß man nichts b werde nach dem eignen Wunsch erreichen. Und so ist es auch gekommen. Doch habe ich die Gelegenheit gehabt, manch alten Bekannten zu sehen und zu sprechen, namentlich Keller’s u. Kessel’s. Heidloff traf ich leider nicht zu Hause. Der Cholera wegen, die dort stark herrscht, hielt ich mich nicht viel länger als nöthig dort auf und war schon am 9t Vormittags wieder hier.

Sobald Mimmi fort ist, gehe ich zum Kaufmann Metzner – vis-à-vis Dr’s, – hinunter. Bis dahin werden wir jetzt recht unruhige Tage haben, wegen des Packens. Ade sei herzlich gegrüßt von Deinem

Karl Haeckel

und schreibe ja recht bald. – Mimmi grüßt bestens.

NB: Vergiß nicht mir zu Weihnachten außer dem Geburtstagsbriefe auch mein Tagebuch über die Tyroler u. Italienische Reise mitzubringen, das Du noch haben mußt.

PS. Da ich fürchte, daß der Brief sonst zu dick wird, so habe ich die 2t Hälfte des Geburtstagsbriefes der keine speziellen Reisenachrichten enthält, noch zurückbehalten.

a korr. aus: eine; b gestr.: viel

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.10.1855
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 35436
ID
35436