Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Ziegenrück, 3. – 5. März 1855

Ziegenrück 3 Maerz

1855.

Liebster Bruder!

Dein neulicher Brief hat uns ganz besonders durch Aussicht auf Deinen längeren Besuch im April erfreut und ich zähle gar oft die Wochen, die bis dahin noch verfließen müssen. Dann hat mich derselbe aber auch lebhaft an Deine projektirte Schweizerreise und die dazu zu treffenden Vorbereitungen denken lassen; Du mußt mit letzteren zeitig anfangen u. in den bevorstehenden Ferien hauptsächlich dazu rüsten. In dem Sommerhalbjahr wirst Du dazu keine Zeit haben. – Kaufe Dir vor allem die treffliche Ziegler‘sche Karte von der Schweiz (ob den geognostischen Abdruck, überlege Dir), die Du bei Dieter R. findest, und studire, unter steter Begleitung der Karte, das kleine Bädeker‘sche Reisehandbuch das Vater hat. Wissenschaftliche Hilfsquellen wird Dir gewiß Prof. Weiss in reichlichem Maaße bieten können. Es ist gewiß ein großer Vortheil, wenn man sich auf diese Weise vorher rüstet; man beobachtet dann, unstreitig schärfer. – Ferner würde ich an Deiner Stelle in den nächsten Wochen Zeichenstunde nehmen || . Es wird Dir gewiß sehr lieb sein, a einzelneb Parthien selbst skizziren zu können. Sie prägen sich dann weit besser dem Gedächtniß ein. Du kannst dann hier praktische Vorstudien in der hiesigen Landschaft dem anschließen, was mich zugleich sehr freuen würde. Ich möchte gar zu gern eine Anzahl gelungener Skizzen der Gegend haben.

5 Maerz.

Für Deinen ausführlichen Brief herzlichen Dank, ich weiß doch nun einmal wieder was Du treibst. Mündlich wirst Du mir noch recht viel vom letzten Winter erzählen müssen. – Hier haben wir ruhig und still gelebt. Seit 8 Tagen ist jedoch in dem neu tapezirten u. veränderten Lokale des Rathhauses eine Gesellschaft zusammengetreten, die sich dreimal in der Woche (einmal mit Dinner) versammeln will. Ich werde manchmal hingehen. – Das Wetter, das bis vor 8 Tagen harten Frost brachte, ist seitdem in raschem Tempo zum Frühling übergegangen. In der Nachtc vom Freitag zum Sonnabend war ein sehr starker Eisgang. Kolossale Schollen versperren noch jetzt den Weg von der Mühle bis zum Försterhäuschen. Die Trebe u. Plothe waren ganz || durch vorgelegtes Eis versperrt u. mußten am Sonnabend ausgehauen werden. Die Luft ist jetzt köstlich.

Gestern Nachmittag erhielten wir die erste Nachricht vom Tode des Kaisers von Rußland – ein Ereigniß von unberechenbaren Wirkungen. Es fragt sich, ob die Kriegs- oder die Friedenspartei dort die Oberhand behalten werden, ob nicht eine innere Revolution ausbricht u.s.w. Ich bin sehr gespannt auf die nächsten Nachrichten, u. auf den Einfluß den dieser Zwischenfall auf die Verhandlungen in Wien üben wird.

d An unsern Kammerdebatten kann man jetzt nicht viel Geschmack finden; ich finde doch, daß die Vertretung des Landes in den letzten Jahren sehr an Kapazitäten abgenommen hat. Der Vereinigte Landtag hatte unstreitig, gegen die jetzigen Kammern, ein Elitekorps versammelt. Selbst Reden von Vinke kommen mir oft schaal vor gegen solche wie sie Simon, Camphausen, pp. gehalten haben. || Wir leben in einer gedrückten Zeit. Ob es unter einem andern Regime rasch anders werden wird, ist sehr die Frage. Es wird eine Weile dauern, ehe man sich aus dem jetzigen Zustand emporrafft.

– Bei uns ist das wichtige Ereigniß eingetreten, daß der kleine Spitz jetzt allein läuft. Du wirst Dich gewiß viel mit ihm beschäftigen.

Sei doch so gut u. lege, wenn ihr wieder Pakete schickt, einige Kautschuklagen bei zu meiner Maschine. Zuschneiden werde ich sie mir schon.

Grüß die Aeltern u. Großvater u. Tante Bertha in Nr. 8. von mir bestens. Für sie ist der Brief mit. Ich habe jetzt Monatsschluß gehabt u. f viel arbeiten müssen.

Ade Dein getreuer

Karl

NB Vater soll sich:

Bucher, Parlamentarismus pp nicht anschaffen, ich habe es mir angeschafft u. schicke es ihm später. Ich lese es jetzt u. glaube, es wird Vater recht interessiren.

a gestr.: die; b korr. aus: einzelnen; c eingef.: In der Nacht; d gestr.: Mit; e eingef.: rasch; f gestr.: nicht

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
05.03.1855
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 35432
ID
35432