Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Ziegenrück, 14. Mai 1855, mit Nachschrift von Hermine Haeckel

Ziegenrück den 14 Mai

1855.

Liebster Bruder.

Gestern Abend, nach einem Spaziergange und einigen Besuchen, fanden wir endlich den langersehnten zweiten Brief von den Aeltern, seit unsres lieben Großvaters Tode vor. Morgen soll er an Dich weiter gehen. Zu heute hatte ich in der That keine Zeit, ihn schon abgehen zu lassen.

Nach dem, was Du uns bei Deinem Hiersein über Großvaters Zustand mitgetheilt hattest, kam uns die Trauernachricht nicht unerwartet, vielmehr ich darf wohl sagen: ersehnt. Bei einer solchen Gelähmtheit des physischen Lebens ist die Trennung von dieser Welt nur eine Wohlthat. Ihm ist jetzt wohl, er hat das für ihn in der letzten Zeit so schwere Dasein überwunden. Uns, die wir fern sind, ista jetzt die Lücke noch nicht so fühlbar, wie den Aeltern sie nach ihrem heutigen Briefe sein muß. Kommen wir aber wieder einmal hin, wie anders wird uns dann alles vorkommen! Es ist doch recht schade, daß die schöne Wohnung in der Familie nicht bleiben kann. Aber ich dachte mir es gleich. – Bei dem Begräbniß wäre ich sehr gern gewesen. Richter, der mir in diesen Tagen schrieb, meinte, Johannes Bleek habe die Rede von Jonas nachgeschrieben. Ich denke, wir werden || sie bekommen. Mag sie auch in vieler Beziehung angestoßen haben, der liebe alte Mann scheint doch darin sehr richtig gezeichnet zu sein.

Daß die Schwestern nun vereinzelt wohnen werden, auch keine mit Mutter zusammen, halte ich, wenn man alles nüchtern ins Auge faßt, bei der Eigenthümlichkeit eines jeden jetzt in der That für das Beste. Es würde sonst gewiß leicht zu Mißstimmungen gekommen sein. Daß Mutter nun hier hoffentlich einige ruhige Wochen in der schönen Bergluft weilen wird, soll ihr denke ich recht gut thun. Gott gebe, daß alles recht glücklich abläuft und sie nicht wieder Krankenpflegerin sein muß. – Was unser lieber Alter am Ende seiner Zeilen schreibt, hat mich tief bewegt. Gott gebe, daß wir ihn und uns einander noch lange auf Erden haben mögen. Der Heimgang eines Familiengliedes, wie Großvater bindet die zurückbleibenden desto fester in der Liebe an einander. Laß uns, lieber Bruder an dieser Liebe halten und sie pflegen, es ist doch gar zu etwas Köstliches, zu wissen, daß ein Andrer innig an uns hängt, und wiederum für dessen Schicksal sich ebenso lebhaft zu interessiren. Aus Mutters halben Bogen den ich zurückbe-||halten habe, damit der Brief nicht zu stark wird, theile ich Dir noch mit was nicht für Mimmi allein ist. „Beim Testament“, schreibt sie, „fand sich unter den vielen Kodizillen auch ein Blatt: ‚Abschiedsworte an meine Kinder.‘ Auch die sind köstlich und werden Euch auch lieb sein, wenn Ihr sie lest. Sie sollen für die Kinder mit noch Einigem, was Vater bei Mutters und Ernst‘s Tode niedergeschrieben hat gedrukt werden. Tante Bertha ist noch immer sehr angegriffen; ich habe sie in dieser Woche nur immer auf Augenblicke gesehen. Tante Auguste, die zwar bei uns wohnt, ist fast den ganzen Tag bei ihr. Auch habe ich Wäsche und dabei täglich zu arbeiten, das ist mir aber recht gut denn es war mir so, nun ich nicht mehr zum Großvater gehen konnte, als hätte ich nichts in der Welt mehr zu thun.“ – So weit Mutter. Ich kann es mir lebhaft denken, wie es ihr jetzt zu Muthe ist, sie hat doch auch mit recht inniger Liebe an dem lieben alten Manne gehangen, und ist ihm namentlich in den letzten Jahren viel gewesen. Wie traurig wäre es für den alten Mann, bei dem eignen Kranksein seiner Bertha gewesen, hätte er nicht unsre Aeltern so viel um sich haben können. – ||

Bei uns geht das Leben seinen alten Gang fort. Ich habe seit Deinem Weggang immer noch stark zu thun gehabt. Ueber acht Tage ist Sitzung und vorher muß ich erst recht noch aufräumen. Das Jungelchen ist viel quarrig und immer noch nicht von der gewünschten Reinlichkeit in lectulo! Jungfer Birkenlieschen muß oft nachhelfen. Frauchen ist im Ganzen munterer, tritt nun aber mehr und mehr in das immobile Stadium ein. Ich muß sehr reden, daß sie sich nicht zu viel bückt, namentlich beim Garten zusseln. Das Kindermuhmen-Amt werde ich ihr jetzt ganz abnehmen. Mit dem Wetter stehts immer noch nicht sonderlich, in den letzten Nächten hatte es Eis gefroren. Zum Glück ist alles noch sehr zurück, so daß es nicht viel geschadet haben kann. – Apotheker‘s aelteste Tochter hat sich mit einem alten Schulkamerad von mir, Postsekretair Kroebel in Wittenberg verlobt, – das die Neuigkeit des Tages, – wenn ich nicht dazurechnen soll, daß sich bei Regen einige wenige Molche gezeigt haben. Dem Dr. geht‘s leidlich. – Ruts‘s Verheirathung hat in diesen Tagen in der Zeitung gestanden. Nun ist der letzte vom Naumburger u. Examen-Vierblatt ins Joch gegangen! – Ade für heut; laß bald was von Dir hören, Du schweigst ja allzu lange u. sende vielleicht Deine Briefe nach Berlin über hier, wenn Du nicht oft schreiben kannst.

Dein Karl.

Adolph Schubert schrieb mir dieser Tage, er scheint sich fortdauernd zu bessern.b

[Nachschrift von Hermine Haeckel]

Einen herzlichen Gruß muß ich doch noch beifügen mit der Bitte recht bald uns ein halbes Stündchen Deiner so kostbaren Zeit zu schenken, damit wir erfahren, wie Du angekommen, was Du machts u.s.w.

In Liebe Deine Schwester. c

a gestr.: tritt; eingef.: ist; b Text weiter am Rand von S. 4: Adolph Schubert … zu bessern.; c Text weiter am Rand von S. 4: Einen herzlichen Gruß … Deine Schwester.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
14.05.1855
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 35431
ID
35431