Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Ziegenrück, 12. Februar 1855

Ziegenrück

12 Februar 1855.

Liebes Bruderherz.

Wieder kommt der Tag an dem ich am Liebsten mit Dir und den Unsrigen persönlich zusammen wäre, und ich muß wieder wie schon oft, zur Feder greifen, Dir mein brüderliches Herz auszuschütten. Ich wünsche Dir also Gottes reichen Seegen zum neuen Lebensjahre, leibliche und geistige Frische, aufa daß Du mit Erfolg in der Vorbereitung zu Deinem Berufe fortschreiten mögest, und die Fortdauer des innigen Familienbandes, das uns und die Aeltern umfängt. Laß uns auch fernerhin so treu und fest, wie bisher, zu einanderhalten, liebster bester Bruder.

Du hast lange nicht selbst etwas von Dir hören lassen; nach den Briefen der Aeltern macht dies Dein vieles Arbeiten verbunden mit manchen geselligen Abhaltungen über die ich mich nur freuen kann. Es wird Dir gewiß später selbst recht lieb sein, daß Du auf diese Weise doch in die geselligen Formen finden gelernt hast. Sie erleichtern im späteren Leben namentlich die || Anknüpfung neuer Bekanntschaften und das Einleben in neue Verhältnisse sehr.

Das Semester ist nun bald wieder zu Ende und ich sehe Dich vielleicht bald hier auf der Durchreise nach dem alten Würzburg, das Du nun wohl wieder auf einige Semester besuchen wirst. Wenn Du nur diesmal ein recht schönes warmes Frühlingswetter träfest. Jetzt läßt sich‘s beinahe so an, als sollte es noch einen langen Winter geben. Seit mehreren Wochen haben wir eine ziemlich konstante Kälte, die Schlittenbahn ist jetzt prächtig, doch habe ich selbst sie nur wenig bisher benutzt. Mimmi hat sich mal wieder bei der Wäsche erkältet, und so mag ich grade jetzt nicht eine Schlittentour versuchen, um das Uebel nicht noch schlimmer zu machen. Auch den Jungen kann ich bei dem häufigen Ostwind, nur selten herausbringen. Die Saale ist beinahe durchgängig zu; gestern Nachmittag bin ich bis ¼ Stunde vor Walsburg hinaufgegangen.

Unter den Büchern, die wir morgen zurück schicken, befindet sich auch der Tschudi, den Du nun endlich wirklich und vollständig erhältst. Das Buch hat mich, wenn ich es auch || nur parthienweis lesen konnte, doch sehr interessirt. Ich habe so recht das Gefühl gehabt, daß man bei einem anhaltenden und tieferen Studium der Naturwissenschaft mit Recht von Bewunderung über die Mannigfaltigkeit und Weisheit dieb in den Schöpfungen Gottes sich kund giebt, erfüllt werden muß. Von ganzem Herzen wünsche ich Dir, daß Du bald einmal selbst diese wundervollen Gegenden besuchen und ihre Pracht und Herrlichkeit so recht genießen mögest. Mir tauchten beim Lesen vielfach die Erinnerungen meiner Reisen im Gedächtniß wieder auf und ich bekam einige Male ordentlich Sehnsucht, einmal wieder diese majestätischen Schneegipfel zu sehen. Besonders haben mich in dem Buche die allgemeinen Einleitungen zu den einzelnen Abschnitten interessirt, die mehr geographischer u. geognostischer Natur sind.

– Unser hiesiges Leben geht in der gewöhnlichen ruhigen Weise fort; außer unsern Leseabenden, an denen wir jetzt York‘s Leben lesen, haben wir nur sehr wenig geselligen Umgang. Dem Doktor ist es in den letzten Wochen wieder bedeutend besser gegangen; er fühlt || sich frisch und kräftig. – Vor 14 Tagen hatten wir Sessionswoche, in der ich einmal besonders viel Kriminalia hatte. Nach der Session gab‘s viel zu thun; zumal Barth mir 3 Wochen gastrisch krank gewesen ist und ich mehr als sonst gewöhnlich, Arbeit hatte. Jetzt komme ich wieder ins Geleise.

Dieser Tage bekam ich von Langer aus Zoerbig einen Brief. Denke Dir, der schlug mir vor, die erledigte Kreisraths-Stelle in Zoerbig anzunehmen; das wäre doch ein bitterer Tausch gewesen! – Er wußte freilich nicht, daß das Gehalt sich im Departement gleich bleibt und dachte nicht daran, daß ich mich also nicht verbessern würde. Ich habe ihm nach Merseburg hin, wo er sich zeitweise wegen Unwohlseins aufhält geschrieben u. dabei die Gelegenheit ergriffen, auch einmal an Karo‘s zu schreiben.

Nun leb recht wohl, alter, lieber Junge, sei am 16t recht vergnügt und gedenke der Ziegenrücker.

In alter treuer Liebe

Dein

Karl.

a eingef.: auf; b eingef.: die; c korr. aus: liester; d wiederh.: die; e eingef.: die

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.02.1855
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 35430
ID
35430