Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Ziegenrück, 3. Januar 1855

Ziegenrück

den 3 Januar 55.

Alter Junge!

So nette lange Briefe aus den letzten Wochen liegen vor mir, daß ich mich doch entschließen muß, einmal ordentlich an Dich zu schreiben, du gute Seele! –

Habe ich Dir denn schon zu dem so gut absolvirten Philosophikum gratulirt? – Es freut mich, daß Du es los bist und ich wünsche nur, daß Du die medizinischen Examina später ebenso wohl bestehen mögest. Es ist doch ein sehr angenehmes Gefühl, wenn man mit solchem Zeug nicht mehr geplagt wird. –

Ebenso sehr habe ich mich aber gefreut, wiederholt zu hören, daß Du dem geselligen Lebena jetzt mehr Geschmack abzugewinnen anfängst. In gewissen Lebensepochen ist ein gewisses Maaß der geselligen Bildung ein nothwendiges Moment in der gesammten inneren Entwicklung des Menschen – diesen unbestreitbaren Satz scheinst Du denn doch endlich b, trotz allem Sträuben – als richtig anerkannt zu haben. Ich möchte nur wissen, wer oder was Dir zu dieser Erkenntniß verholfen hat! –

Um den Dir so sehr zusagenden Umgang mit Deinen || Freunden könnte ich Dich beinahe beneiden. Du weißt, daß ich mit unserem hiesigen Umgang, für eine kleine Stadt, gar sehr zufrieden bin, aber wie sehr wird man doch oft in dieser Beziehung zurückerinnert an die Studien- und Referendariats-Jahre! Die geistige Verwandtschaft und die gegenseitige Anregung fehlt doch in dem Umgang, den das spätere Leben bietet, sehr häufig; vielleicht würde mir der c ein Wechsel des Wohnortes in dieser Beziehung auch etwas Besseres bringen. Im Uebrigen, – wenn ich von der natürlich den Hauptvortheil bildenden Nähe bei Euch absehe – wird es manches zu überwinden kosten bei einer Veränderung. Wir werden uns bedeutend einschränken müssen, wie ich nach dem in diesen Tagen gemachten Jahresabschluß recht deutlich einsehe. Eine Wirthschaft mit Frau und Kind – (rsp. K–dern!) kostet etwas, obgleich man immer noch billiger lebt als im Jungesellenleben. Diesem leidigen Punkte, bei dem die Gemüthlichkeit aufhört, und der Isolirtheit unsrer Lage || hast Du es denn auch zuzuschreiben, daß ich Dich diesmal nicht besonders beschenkt habe. Du hast mich dafür recht beschämt durch das nette Gedichtbuch, das mir, denke ich, recht gefallen wird. –

Was aus uns Preussen im neuen Jahre in politicis werden wird, darauf bin ich sehr neugierig – Ich verspreche mir wenig Gutes. Denn: treten wir nicht zu den Westmächten, so drängt man uns am Ende nach Rußland hinüber u. wir müssen für dieses Haare lassen. Treten wir aber der Allianz bei, so werden wir auch keine Seide spinnen, da wir so später kommen, man wird uns mit Recht mißtrauen, u. als einen unzuverläßigen Bundesgenossen ansehen und wir kommen in eine schiefe Stellung. Jedenfalls haben wir angefangen, eine höchst untergeordnete Rolle im Concert der Mächte zu spielen, die große Trommel oder der Triangel sind unser Instrument geworden und werden es wohl auch bleiben, so lange „Lehmann“ lebt. Die Gewißheit habe ich aber, daß wir auf eine oder die andre Weise mit in || den allgemeinen Krieg hineingezogen werden, und das ist für einen Landwehroffizier immer nichts Gleichgültiges. Mimmi hat mich schon einige Male im Traume abmarschiren sehen. –

Ihr habt ja gar nicht geschrieben, was Ihr von Adolph Schubert erhalten habt; mich hat er ja ganz nach Wunsch bedacht. Ich erhielt dieser Tage einen Brief von ihm, in dem er für einige Weihnachtskuchen dankt.

Wirst Du denn nun Tanzstunde nehmen? Zur Zeichenstunde rathe ich Dir sehr.

Ade alter Junge, beste Grüße an Dich u. alle Lieben von Deinem

Karl.

Tante Bertha laße ich um ein Verzeichniß der Auslagen bitten, die sie für Adolph gehabt hat. Er könnte eigentlich an sie alles Geld schicken was in Berlin für ihn auf Weihnachtsgeschenke verlegt ist.

K.

Dem Papa schreibe ich nächstens, heute kann ich ihm nur für seinen langen Brief danken.

a korr. aus: Lebens; b gestr.: tzr; c gestr.: der

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
03.01.1855
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 35429
ID
35429