Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Ziegenrück, 8. November 1852, mit Nachschrift von Hermine Haeckel

Ziegenrück 8 November 52.

Liebster Bruder.

Trotz meiner vielen Arbeiten läßt es mir keine Ruhe; ich muß an meinen lieben Hans einige Zeilen schreiben. Er muß wissen, daß sein Karl mit seiner Mimmi nun schon seit 8 Tagen glücklich in Ziegenrück hauset und daß es eine ganz besonders schöne Sache ist, mit einem geliebten Wesen in der eignen Haushaltung so innig zusammen zu leben.

Die Reise ging glücklich von Statten. Am Donnerstag den 28st. bis Erfurt. Unterwegs in Merseburg Karo, mit Gedicht u. Blumenstrauß, und Simon, am Bahnhofe; in Naumburg Frau GeheimRäthin Luther u. Frl. Luther. Zu Erfurt bei Herrn v. Brauchitsch logirt u. sehr freundlich aufgenommen. Freitag, 29st., früh meine Einführung in das Kreisgerichts-Kollegium; dann mehrere Besuche (Heydloff‘s, Keller‘s, Plonsky‘s) und Besorgungen. Nachmittag auf der Bahn bis Apolda, dann mit Post noch den Abend bis Kahla, wo wir, als beiderseits etwas erkältet, übernachteten. Sonnabend Vormittag auf direktem Wege || mit einem Hauderer bis Ranis dort bei Lindig‘s Schwiegermutter zu Mittag. Nachmittags 3 Uhr etwa, bei leidlichem Sonnenschein, dera zwischen einigen Regenhuschen mitten inne lag, in Ziegenrück angekommen. Mimmi kriegte doch, wie sie mir nachher gestand, einen gelinden Schreck als sie das alte gelbe Nest b mit dem kolossalen Spitzdache zuerst von Ferne sah. Und der grandiose Eingang ins Schloß und Treppenaufgang verminderte diesen Horror nicht. Desto angenehmer war sie durch das Innere unsrer Wohnung überrascht. Die neutapezirten Räume mit der herrlichen Aussicht und den schönen neuen Möbles machen sich wirklich recht gut, und wir fühlten uns schon in den ersten Tagen ganz behaglich. Die Sachen sind sehr gut angekommen, vom Möblestransport nicht das geringste beschädigt. Die Wäschkisten aus Stettin, die Kiste mit Hochzeitsgeschenken u. meine Bücherkisten sollen erst noch kommen.

Ja, mein lieber Junge, nun hätten wir‘s endlich erreicht, einen eignen Heerd uns gegründet zu haben. Wie viel das für den jungen Mann werth ist, wirst du späterhin, hoffentlich nicht zu spät, selbst einsehen. Eine Jungesellenwirthschaft ist und bleibt ein trauriger Nothbehelf und giebt zu vielfachen || üblen Angewohnheiten Anlaß, die einem die Frau nachher abgewöhnen muß. Solltest mal sehen wie ich schon gezogen werde! Gefrühstückt u. gegessen wird in meiner Stube. Auch beim Arbeiten sitzt mein liebstes Wesen gewöhnlich des Abends mit dem Nähzeug neben mir, was ihr sehr gefällt. Einmal ist sie schon Strohwittwe gewesen, als ich Lokaltermin in Goessitz hatte, Mittwoch ist sie es wieder. Dann ist‘s aber nachher auch eine um so größre Freude, wenn man wieder bei einander ist. Gestern haben wir die Visiten bei den Honoratioren der Stadt und in der Lämmerschmiede (wo ein Hammerwerks-Inspector Redtel lebt), abgemacht. Das Wetter begünstigte uns sehr, wie denn überhaupt in diesen 8 Tagen sehr gelind war.

Deinen ersten Brief nach Berlin hat uns Mutter, zu unsrer großen Freude hergeschickt. Es wäre uns aber sehr erwünscht, wenn Du bald mal direkt schriebst. Mich interessirt sehr wie es Dir dort geht. c Du kannst ja manchmal die Briefe, wenn sie keine Eile haben, und doppeltes Schreiben Dir zu viel Zeit raubt, über hier nach Berlin schicken.

Nun ade, alter liebster Junge: Wir haben schon oft in dem Gedanken geschwelgt, Dich Weihnachten bei uns zu sehen. Du mußt es möglich zu machen suchen. Grüße Bertheaud schönstens von mir und ich ließe || cfragen, wie sich der Fuchs aufführe. Hieher schreib: Ziegenrück in Thüringen, per Hof.

Ade liebster alter Junge. Immer dein

treuer Bruder Karl. |

[Nachschrift von Hermine Haeckel]

dEinen herzlichen Gruß muß ich meinem lieben Bruder doch selbst sagen und ihn bitten uns recht bald einmal zu schreiben uns Weihnachten zu besuchen, um zu sehen wie glücklich wir uns fühlen. H. H. ||

Herrn

Stud. med. E. Haeckel

Würzburg.

bei Dr. Altheimer I. Distr.

No 293

frei

a eingef.: der; b gestr.: zum; c gestr.: Ich; eingef.: Du; d Text weiter am linken Rand von S. 3: fragen, wie … treuer Bruder Karl.; e Text weiter am linken Rand von S. 1: Einen herzlichen Gruß … uns fühlen. H. H.

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
08.11.1852
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 35418
ID
35418