Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, San Remo, 4. April 1893

San Remo 4 April 1893.

Villa Lindenhof.

Vormittag.

Liebster Bruder!

Wenn ich auch noch nicht weiß, ob Du schon in Neapel bist (auf meine Karte vom 28st März dorthin habe ich bis heute keine Antwort), so will ich doch es versuchen, Dir hiermit mitzutheilen:

Daß mein Georg am 29 März das Assessor-Examen glücklich bestanden hat;

eine recht große Freude u. Ueberraschung für mich, da ich annehmen mußte, er werde erst im Laufe des April nach Berlin citirt werden. Er ist erst 4 Tage vorher zum mündlichen citirt worden u. nun diese schwere Sorge los. Wohin er nun kommt (er wird alsbald etatsmäßig angestellt) weiß er noch nicht, denkt aber doch schon zu Pfingsten heirathen zu können. Trautchen scheint mit der Ausstattung schon fertig zu sein. Die beiden Leutchen || sind ausgelassen glücklich. Er überraschte sie bei ihrer Schwester, die in Quedlinburg verheirathet ist, u. hat mit ihr und der Mutter Eltze gleich einige Harzausflüge gemacht.

Auch von Potsdam gute Nachricht: Friedel ist glücklich nach Prima versetzt.

Sonst weiß ich nichts Neues aus Berlin, Lichterfelde u. Potsdam zu berichten. Mir geht es trefflich. Ich befinde mich in der Pension Lindenhof bei guter Verpflegung u. recht netter deutscher Gesellschaft sehr wohl.

Am 1 April war ich mit den Landsleuten (Ingenieur Dieckmann-Dortmund und Tochter, Amtsrichter Hardtmuth aus Wiesbaden u.nd seine alte Mutter, die als Witwe in Weimar lebt, Mann war Bleistiftfabrikant in Wien, Frl. Wiese aus a Hamburg und Dr. phil. Jannasch aus Berlin junger Historiker) theils per Fuß, theils per Roß über S. Romano nach dem Monte Pignone: herrliche Aussicht auf || die Seealpen; aber recht unbeschreiblicher Weg, richtiger steiniger Saumpfad u. manchmal so, daß man nicht begriff, wie unsre 3 Esel (für die Damen) das Maulthier u. mein Pferd, das ich mit einem Herrn abwechselnd ritt, dort passiren konnten; viel unwegsamer, als in der Schweiz oder in deutschen Gebirgen! –

In S. Romano wurde gerastet; Frühstück war mitgenommen. Ich mußte eine Trost-bRede auf Fürst Bismarck halten und wir waren dort und am Abend in der Pension höchst fidel, zumal Herr Dieckmann der an demselben Tage Geburtstag hatte, Abends eine Ananasbowle gab. Nächst Frau Hardtmuth (72 Jahre) war ich der älteste in der Gesellschaft, u. das wollen sie mir meines frischen Aussehens wegen immer nicht glauben! – Uebrigens kann ich noch gut laufen u. steigen nur daß mir der rechte Fuß manchmal an den Knochen weh thut. Aber mein || Hausdoktor in Potsdam meinte, das thue nichts, es sei gichtisch, und die Anstrengung schade nichts. Also laufe ich ruhig drauf los, ohne es zu übertreiben.

Sonntag und gestern ruhten wir aus, bummelten nur bei dem seit 4 Tagen immer gleich schönen Wetter etwas umher. Gestern war ich mit der Gesellschaft in dem schönen v. Hüttner’schen Garten, einem botanischen in nuce, und fand Dich in dem Fremdenbuche der Villa parva sed mihi apta unter 24/4 pr. eingeschrieben.

Die Luft ist köstlich, namentlich wenn eine Briese von der See her weht.

Aber die mittelwarme Kleidung kann man Abends und Morgens immer noch gut vertragen. – Doch genug nun schreibe Du mal u. sage mir, wie es Euch geht und welchen Rückweg Ihr nehmt.

Mit herzlichen Grüßen an Euch beide

Dein

Karl

a gestr.: Flore; b eingef.: Trost-

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
04.04.1893
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 35332
ID
35332