Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Wriezen, 12. Februar 1856

Wriezen a/O. den

12 Februar 1856

Lieber Bruder!

Zu dem Familien-Festtage, an dem wir so gern mit den Aeltern und Dir zusammen wären, muß ich Dir nun schon wieder einmal meine aufrichtigen Herzenswünsche schriftlich senden. Mögest Du in dem neuen Lebensjahre das in der äußeren Stellung Dir zunächst vorliegendea Ziel, die Examina, mit eben dem Glücke erreichen, mit dem Deine innere Entwicklung in dem verflossenen Jahre in Folge der schönen Reise fortgeschritten ist. Gott erhalte Dir dazu die körperliche Gesundheit und den frischen Muth. Dann wird es schon alles nach Wunsch gehen. Für jemand, der sich so gründlich in seinem Fache umgesehen hat, wie Du, muß das Staatsexamen, je näher es rückt, doch allmählig all die Schrecken verlieren, die es von vornherein für einen jeden Candidaten hat. Aber angenehm ist es doch immer, wenn man das Zeug endlich ganz hinter sich hat, und ich wünsche daher von Herzen, daß dies so bald als möglich bei Dir der Fall sein möge.

Im neuen Jahre sehen wir uns hoffentlich öfters, als im alten; auch Du mit Deiner von den schönen Alpenlandschaften erfüllten Phantasie, wirst mit den märkischen Höhen und Laubholzparthien Dich || wohl einigermaßen befreunden und ihnen Geschmack abgewinnen. Mir kommen schon jetzt diese Partien weit netter vor, als zu Anfang, wo die kahlen Sandflächen und die traurige Kiefer mich sehr abstießen. Gründlich nach meinem Behagen in Kreuz und Quer sie durchstreifen konnte ich natürlich bis jetzt noch nicht. Wohl aber habe ich schon so manchen Punkt gefunden, von dem aus im Sommer, bei vollem Schmuck des Laubwaldes und der Wiesen die Landschaft sich recht lieblich machen muß. Vorläufig laufe ich mit meinem getreuen Kastor (den ich noch bis Ostern für Carl Sethe in Pension habe) täglich ein gehöriges Pensum Chaussee Gesundheitshalber ab. – Von der Freienwalder Geselligkeit kann ich Dir immer noch nicht viel sagen. Sonntag hatten wir zu einer von 2 von Adolph‘s Güte uns zugesendeten Puten die erste kleine Gesellschaft gebeten, zu der ich auf einen Tag, von Wriezen herüber kam. Rath Grieben mit Frau und 2 Töchtern, (mein Herr Kollege) die beiden Damen Aegidi, und ein Ober Lehrer Schulz, Dirigent des Freienwalder Progymnasio waren unsre Gäste. Der alte Aegidi ist immer noch nicht so recht wohl, mit dem Fall im Garten. – Unserm jungen Freunde in Göttingen geht es wieder gut. Er || hat das Glük gehabt, daß Robert von Mohl in seiner neuen Literar-Historie der Staatswissenschaften mit großer Anerkennung seines Buches erwähnt hat, das Aegidi zu seiner Habilitation schrieb (über den deutschen Fürstenrath). – Um nun wieder auf die Familie zurückzukommen, so befindet sich Karlchen der einige Zeit an Würmern litt und etwas Fieber hatte, wieder recht wohl und wird immer komischer. Hermann gedeiht prächtig und ist seit 4 Wochen ganz anders lebhaft als vorher und Frau Mimmi bekommt das Nähren immer noch gut. Ich gefalle mir fortdauernd, besonders in der mir gewordenen Muße. Seit dem 4ten d. M. bin ich hier als Beisitzer des Schwurgerichts, das noch bis zum 16ten dauert und an diesem Tage – ein nettes Zusammentreffen – mit einem solennem Schlußdiner gefeiert werden wird. Wir haben leider viel obscöne Sachen, 3 Nothzuchten, eine Abtreibung der Leibesfrucht, und noch eine schwere Körperverletzung, die auch in dieses Fach schlägt. Für den Mediziner kommen einige ganz interessante Fragen zur Erörterung und wird uns eine solche am Freitag von dem Medizinalrath Nicolai aus Berlin aufs schönste erläutert || werden – Nebenbei bleibt mir noch manche Stunde frei, in der ich unter andern auch Johnstons chemische Bilder mit vielem Interesse zu lesen angefangen habe. Des Abends bin ich meist in Gesellschaften und habe in denselben mehrere recht angenehme Leute, auch unter der Kollegenschaft, kennen gelernt. Nur wird leider viel Whist gespielt, was für mich weniger angenehm ist. Ich lasse mich grundsätzlich nicht darauf ein. In Freienwalde treiben es die Herren meist ebenso. Ich spiele höchstens mit dem Dr Aegidi eine Partie Schach.

Aber nun ade, trautester Junge. Soll ich nicht in der heutigen Abendgesellschaft wegen gründlichen Zuspätkommens scharf angesehen werden, so muß ich eilen und mich anziehen. Für Deinen letzten Brief (über Kater Murr, Voigt‘s Schriften pp.) besten Dank. Deine Tagebuchblätter über Venedig und Mailand habe ich mit doppeltem Interesse gelesen und mich mit Hülfe der von Dir gesendeten Ansichten wieder recht in die alte Zeit hineingeträumt. Die Blätter über das Wormser Joch pp u. den Schluß habe ich noch nicht aus Berlin. Ade, sei recht heiter am 16t u. gedenke ja auch Deines treuen Bruders

Karl.

Grüß Deine Bekannten Beckmann und Hein bestens.

a eingef.: vor

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.02.1856
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 34940
ID
34940