Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Freienwalde, 31. Mai – 2. Juni 1857

Freienwalde 31 Mai 57.

Lieber Ernst!

Wundre Dich nicht, wenn ich jetzt plötzlich [mit] meinem alten, von mir längst aufgegebenen Plane wieder zum Vorschein komme. Wir wollten doch immer gern eine Fußreise wieder zusammen machen doch die Finanzen standen bei mir so, daß ich für diesen Sommer den Gedanken ganz aufgegeben hatte. Die Aeltern wollten mich nach dem letzten Briefe im September zwara nach Westphalen schicken, um eine Geschäftsangelegenheit zu ordnen. Statt dessen soll ich nun aber, da jene Sache anderweit besorgt wird mit Dir eine Tour von Wien aus machen!!! – Was meinst Du? hast Du Lust?! Ich denke, „Ja!“, u. noch dazu ein recht freudiges u. dankbares, wirst Du sagen und wir wollen beide unsern lieben Aeltern doppelt dankbar dafür sein, daß sie trotz so mancher großer Ausgaben aus freien Stücken dieses noch || thun wollen. – Doch nun das Wann u. wohin. Grieben muß ins Bad u. wird schwerlich vor dem 10 August zurück sein. Ich hätte also die 3 letzten Wochen im August disponibel, vielleicht noch einige Tage früher könnte ich fort. Du mußt ja wohl auch schon am 1 September zurück sein. Also eine große Tour kann es nicht werden u. soll es auch nicht. Inclusive der Rückreise von Wien nach Berlin stehen uns 170–200 rℓ. zu Gebote. Ich rechne auf die Hin- und Rückreise bis Wien rsp. hieher für mich 30 Rth., für Dich 15 rℓ. zusammenb reichlich 50–60 rℓ., so blieben uns 100–120 rℓ. – Wohin kommen wir für dies Geld? – Ich möchte natürlich am liebsten nach Salzburg und dem SalzKammergute; das ich noch gar nicht kenne, haben wir Zeit u. Geld genug, so können wir noch etwas nach Tyrol oder Steiermark gehen. – –

den 2 Juni

Die Reisegedanken gehen mir jetzt fast beständig durch den Kopf. Ich habe im Baedecker (d. h. in meiner alten Auflage geblättert und schlage Dir folgende Touren zu Prüfung u. Auswahl vor: Tour über den Sömmering – bis Gratz, über die Stub Alp oder Stein Alp hinüber in das Thal der Mur, dieses hinaufwärts, über irgendeinen Paß des oberen Thals nach dem oberen Drau Thale u. dem || Möllthale, Exkursion nach dem Gr Glockner, dann auf irgend einer Dir neuen Tour nach den Salzburger Alpen. – Oder: Sömmering von Bruck nachc Maria Zell, überd Seeberg u. Seewiesen, dann über Wildalpen nach Eisenerz von da ins Thal der Enns u. über die Rottenmann Tauern oder über die Radstädter Tauern nach dem oberen Murthal, auf beliebigem Wege hinüber nach Gastein, u. von da nach Salzburg. Dort uns 8 Tage vor Anker gelegt u. Exkursionen gemacht. Ist zu solcher Tour die Zeit zu kurz, dann lieber vorn gekürzt, und in den Salzburger Gegenden desto länger geblieben. – Doch sind das alles nur unmaßgebliche Vorschläge; Du bist ja weit besser orientirt, als ich und magst den Plan machen, wie er Dir gut dünkt. Im Allgemeinen wünschte ich nur die Salzburger Alpen zu sehen, vorher aber mit Dir irgend eine Tour zu machen, die Dir neu ist; daß wir über Wien zurück gehen, ist ist wohl jedenfalls zweckmäßig da auch die Rückreise von da am billigsten ist. Vater meint wir sollten dann die Tour Wien – Breslau nehmen. Wenn ich aber etwa hinwärts in Einem Streiche durchführe, um bald bei || Dir zu sein, so möchte ich dann doch rückwärts Prag sehen.

Deine 2 Bogen Reiseskizze der Himmelfahrtstour e kamen gestern an, wir haben uns recht daran erfreut.

– Was die Ausrüstung zur Reise betrifft, so wird man sich doch wohl ein Paar Schuh oder Stiefel mit starkem Leder u. Doppelsohlen zulegen müssen. Nimmst Du einen Regenschirm mit? – Ich dachte es zu thun. Reisekarte und Bädeker, Schaumann pp hast Du wohl dort.

– Für den hiesigen Sommer hätte ich gern die Flora der Markf von Garke, die Du ja wohl hast, hier gehabt. Mutter kann sie nicht finden, wo steht sie? – Hast Du eine Lupe zum Besehen der Pflanzentheile in Berlin? – Bitte, antworte mir auf all diese Fragen ja recht bald, direkt oder über Berlin. Ich werde in etwa 14 Tagen doch einmal herüberfahren. – Was das Bischen Botanik betrifft, das ich treibe, so glaube nur nicht, daß ich mich zu sehr darin vertiefe. Ich suche nur die mir gewöhnlichg vorkommenden, leichteren Pflanzen zu bestimmen u. habe dabei noch an Dr Fischer, einem der Lehrer der hiesigen Vorbereitungsschule, mit dem ich jetzt öfters umgehe, einen Anhalt. – Die Aeltern bleiben bis Sonnabend. Wir leben sehr nett hier zusammen. Mutter Minchen bleibt bis Mitte des Monats. Ade, herzlichen Gruß von Deinem treuen Bruder

Karl.

Wenn ich erst den 10 August komme, kannst Du dann vielleicht noch 1 Woche im September zur Reise zulegen? – Schreibe mir doch bald direkt hieher, ich kann jah den Brief an die Aeltern von hier nach Berlin schicken.i Mimmi und Mutter Minchen grüßen schön.j

a eingef.: zwar; b eingef.: zusammen; c eingef.: von Bruck nach; d eingef.: über; e gestr.: sind; f eingef.: der Mark; g eingef.: gewöhnlich; h Text weiter auf dem linken Rand von S. 1: Wenn ich … kann ja; i Text weiter auf S. 1 oben: den Brief … Berlin schicken.; j Text weiter auf dem linken Rand von S. 3: Mimmi und … grüßen schön.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
02.06.1857
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 34936
ID
34936