Sethe, Marie

Marie Sethe an Ernst Haeckel, Berlin, 14. Februar 1839

Berlin, den 14ten Februar | 1839.

Mein lieber Ernst!

Dieser Brief soll Dir meinen herzlichsten Glückwunsch bringen zu Deinem Geburtstag, den Du am Sonnabend feierst. Da wirst Du nun schon fünf Jahre alt, Junge fünf Jahre! und kannst noch so unartig sein? Aber nicht wahr Du willst von jetzt an ein recht lieber, artiger Junge werden, damit wir und alle Menschen Dich lieb haben? Dann brauchst Du auch nicht mehr zu sagen: Ich war ein Mal artig von 6–8 Uhr, dann sagst Du: „Ich bin jetzt immer artig!“

Recht leid hat es uns Allen gethan, daß Du krank warst, ich sage warst, weil ich hoffe, daß Du jetzt wieder ganz gesund bist. Du kleiner, armer Schelm; hier bei uns warst Du so vergnügt, und in Merseburg mußt Du gleich wieder krank werden.

Was sagst Du zu solchem großen Brief mit dem schönen Bilde darüber? Das ist der Gensdarms Markt, über den bist Du ein Mal mit mir gegangen, wie wir auf den Weihnachtsmarkt gingen, und von dort in einer Droschke zu Hause fuhren. Da kamen wir auch bei dem Palais vorbei wo der König wohnt.

Auf diesem Bilde steht nun in der Mitte das Schauspielhaus, was Dir so gut gefiel, weil obena drauf ein Pferd steht. Das Pferd kannst Du nun freilich hier nicht sehen, weil das auf der anderen Seite ist, aber dafür siehst Du einen Wagen; Dein Bruder Karl kann Dir das Alles erklären. ||

Am Sonntag ist der Geburtstag von Deinem Vetter Theodor Bleek in Bonn, da habe ich gestern auch an den geschrieben, und auch auf einem Bogen Papier mit einem Bilde drüber; das war aber das Schloß zu Charlottenburg, denn der arme Junge kennt Berlin garnicht; der wohnt gar zu weit von uns, wenn Du aber ein Mal mit ihm zusammenkommst, so könnt Ihr recht hübsch spielen, er ist nur ein Jahr älter wie Du, ebenso wild, und kann auch tüchtig schreien, nicht ganz so stark wie Du, aber nicht wahr Ihr Beide werdet Euch es abgewöhnen? Ich habe den Theodor auch darum gebeten.

Die kleine Helene ist seit Eurer Abreise schon öfter bei uns gewesen, aber denke ein Mal, ihre beiden niedlichen Kaninchen hat ein großer, grauer Kater aufgefressen, erst ist Seidenhaase verschwunden, und ein Paar Tage drauf b findet Helenchens Großmutter den grauen Kater, wie er gerade dem Fuchs den Kopf abbeißt; das arme Thierchen hat gewiß rechte Schmerzen dabei gehabt. Lenchen war recht betrübt, wie sie es uns erzählte, Du hast die schönen Thierchen garnicht gesehen, der Fuchs war gar zu hübsch.

Der Schnee ist jetzt ganz hart, da sieht man auch garkeine Schlitten mehr. Ein Mal war aber eine Hofschlittenfahrt, die wollte ich hätte mein Ernst gesehen, lauter schöne Vorreiter und elegante Schlitten, und vorher kam ein sechsspänniger Schlitten mit Garde du Corps, die Musik machten, das wäre für den kleinen Ernst gewesen!

Nun lebe wohl, mein lieber Ernst! grüße Deine Eltern und Bruder Karl, Dich grüßen Großvater, Tante Gertrud, Bertha, und die große Tante Bertha.

Die kleine wollte Dir auch schreiben, sie mußte aber in die Warteschule.

Behalte lieb

Deine

treue Tante Marie.

a korr. aus: dben; b gestr.: wieder

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
14.02.1839
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 33866
ID
33866