Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Richard Hertwig, Jena, 15. November 1896

Jena 15.11.1896.

Lieber Richard!

Durch Reimer werden Sie den letzten Theil meiner Systematischen Phylogenie erhalten haben; es sollte mich freuen, wenn ein Theil meiner Versuche, die Classification und Definition der größeren Thier-Gruppen im phylogenetischen Sinne zu referiren, Ihren Beifall und Ihre Vertretung fände. Es steckt in dem Buche eine colossale Arbeit (– eigentlich die Ideen-Entwicklung von 3 Decennien); es wird wohl meine letzte größere Arbeit sein. Für wichtig halte ich die Auflösung der „Rumpelkammer“: Vermes, und die Restitution von Cuviers Articulata. Hierbei möchte ich Sie auf einen historischen Irrthum auf S. 15 Ihres trefflichen (von mir stets in erster Reihe den Studenten empfohlenen) || Lehrbuchs aufmerksam machen. Sie datieren dort Leuckarts System-Reform (1848) „ein Jahrzehnt später“ als Siebolds System in dem Lehrbuch der vergleichenden Anatomie, dessen I. Heft 1845, das II. 1848 erschien. Wer eigentlich zunächst das Wort „Arthropoda“ gebraucht hat, ist schwer zu ermitteln: Leuckart?, Siebold?, Milne-Edwards? –

Den Begriff a der Gruppe in dem Sinne, in welchem ihn Leuckart 1848 am entschiedensten vertheidigt (– die Anneliden ganz trennend! –) hatte zuerst klar Latreille (1825) unter der Bezeichnung Condolypoda. Neuerdings hat besonders Hatschek meine Wiederherstellung der „Articulata“ verteidigt. – ||

– Die Abhandlung über Amphorideen u. Cystoideen habe ich Ihnen nicht geschickt, da Sie dieselbe in Gegenbaur’s Festschrift erhalten. Bitte mir daher auch nicht Ihre, in dieser befindliche Arbeit zu senden.

– Kükenthal quält mich seit Wochen, ich möchte Sie zur Übersendung Ihrer Manatus-Embryonen (inunguis und senegalensis) übersenden; sie seien von höchster Wichtigkeit für seine Sirenen-Arbeit (die in Semon’s Werk erscheint). Da an den Dingern so Nichts zu sehen ist, und da Kükenthal jedenfalls jetzt der genaueste Kenner der Ontogenie der Cetomorphen ist, möchte ich seine Bitte unterstützen; die Kosten der zugelötheten Blechkiste (wo die Embryonen in Spiritus Leinwand liegen können) bin ich bereit zu tragen. ||

– Von uns kann ich Ihnen leider nichts Erfreuliches berichten. Meine arme Frau hat wieder mehrere Recidive ihrer Herz- u. Nerven-Affection gehabt, und ist sehr deprimirt (– besonders auch wegen des melancholischen Zustands von unsrer Emma). Wir machen uns darauf gefaßt, diesen Winter, wie den vorigen, in absoluter Ruhe u. Abgeschiedenheit im Hause zu verleben. Im Frühjahr wollen wir – wenn möglich! – an die Riviera gehen. –

Hoffentlich geht es bei Ihnen fortdauernd gut. Indem ich Ihnen für Ihre freundliche Aufnahme bei meinem September Besuch bestens danke u. auch Zittels’ zu grüßen bitte, bleibe ich mit bestem Gruß an Sie u. Ihre liebe Familie

Ihr alter E. Haeckel

a gestr.: in

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.11.1896
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 33254
ID
33254