Ernst Haeckel an Harald Krabbe, Jena, 27. August 1895
Jena, 27. August 1895
Lieber Krabbe!
Für deine freundliche Theilnahme an meinem Unfall danke ich dir bestens. Ich fange nun (nach 5 Wochen) wieder etwas an zu hinken und hoffe in weiteren 4 Wochen ziemlich hergestellt zu sein. Die Verletzung des Fussgelenks war schwer. Mein Neffe Heinrich (dritter Sohn meines Bruders, ein ausgezeichneter junger Prof. der Chirurgie) behandelte mich mit grösstem Geschick. –
In den letzten 10 Jahren habe ich überhaupt viel Pech gehabt, jedes Jahr 1 oder 2 Monate Krankheit (meist Rheumatismus, mehrmals Influenza). Es ist nicht schön beim Altwerden, dass die Beschwerden und Leiden des Lebens, wie die getäuschten Hoffnungen und die üblen Menschen-Erfahrungen jedes Jahr zunehmen. Mein guter Humor wird demgemäss auch allmählich schwächer! –
Immerhin kann ich im Ganzen zufrieden sein. Wir leben (seit 12 Jahren im eigenen behaglichen Häuschen, mit Gärtchen) sehr still, da meine Frau fortdauernd sehr zart und kränklich ist. Meine älteste Tochter ist seit 4 Jahren glücklich verheirathet (an Dr. Hans Meyer in Leipzig, Chef des Bibliogr. Inst.) und erfreut sich eines reizenden Töchterchens (jetzt 1 Jahr alt). Mein Sohn (jetzt 27 Jahr) ist Landschaftsmaler in München. Die jüngere Tochter (23 Jahre) ist bei uns zu Hause, ein sehr stilles Wesen. –
Meine Augen haben durch die angestrengten Challenger-Arbeiten (12 Jahre hindurch) sehr gelitten, so dass ich nicht mehr mikroskopisch arbeiten kann. Doch beschäftige ich mich mit allgemeinen zoologischen Arbeiten. Von meiner systemat. Phylogenie erscheint jetzt der III. Theil (Wirbelthiere, 42 Bogen). Der I. Theil (Protisten und Pflanzen) erschien 1894, 25. Bogen. Der II. Theil (Wirbellose) wird erst 1896 fertig werden. ||
Es freut mich sehr zu hören, dass es dir und deiner lieben Familie gut geht.
Mit herzlichen Grüssen und besten Wünschen
Dein treuer alter Freund
Ernst Haeckel.