Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Harald Krabbe, Jena, 6. Juli 1861

Jena, 6.7.1861

Mein lieber Krabbe!

Erst heute erhielt ich deinen lieben Brief durch meinen Bruder aus Freienwalde zugeschickt, und ich beeile mich um so mehr, ihn sofort zu beantworten, als ich dir in der That schon längst hatte schreiben wollen und sollen. Ich habe dir ja noch nicht einmal für die Uebersendung deiner schönen, photographischen Visitenkarte gedankt, welche mich sehr erfreut hat. Sie ziert jetzt ein Blatt eines Albums für derartige Gegenstände, welches mir meine Braut geschenkt hat. Blättere ich darin und komme auf dein Bild, so erinnere ich mich jedesmal mit besonderer Freude der schönen Zeit, die wir zusammen in Wien verlebt haben, einer der glücklichsten Perioden meines Lebens. Ich glaube kaum, dass noch einmal eine Zeit wiederkehren wird, wo man so lebensfroh, so jugendfrisch, ohne alle Sorge für den nächsten Morgen, in das freie warme Leben hinausstürmt, wie wir damals gethan haben. Auch ich blättere noch oft in dem schönen Herbarium von der Raxalpe und rufe alle die einzelnen schönen Erinnerungen wieder wach. Ich bin nun seit Ostern hier in Jena und lese als wohlbestallter Privatdocent 5 mal wöchentlich privatim Zoologie. In Anbetracht der hiesigen kleinen Verhältnisse und dass dieses Collegium mein erstes ist, bin ich mit dem Erfolge, sowohl was die Zahl als den Fleiss meiner Schüler betrifft, sehr zufrieden, auch mit mir selber, soweit dies erlaubt ist; wenigstens geht es mit dem freien Vortrage viel besser, als ich erwartet hatte, und das ganze Verhältnis gefällt mir noch viel besser, als ich gehofft. Das zoologische Museum, das ich ganz zur Disposition habe, ist zwar klein, aber recht gut. An meinen Freunden Gegenbaur und Bezold habe ich sehr angenehme und wohlwollende Collegen. Gegenbaur, der jetzt besonders vergleichende Anatomie der Wirbelthiere treibt, hat mir die Zoologie || ganz abgetreten. Auch im Uebrigen gefällt mir das Leben hier sehr wohl. Wie du dich selbst bei deinem Aufenthalte in Jena überzeugt haben wirst, ist es ein sehr stilles kleines Nest; Ereignisse kommen ausser dem täglichen kleinen Still-Leben gar nicht vor. Aber grade dieses ländliche, idyllische Still-Leben behagt mir jetzt sehr wohl, da ich nach meinen bunten Wanderjahren doch einmal rechtes Bedürfnis nach Ruhe empfinde. Ich habe jetzt des verschiedenartigsten Stoffes so viel gesammelt und angehäuft, dass ich noch für lange Zeit Arbeitsmaterial in Hülle und Fülle habe. Hier habe ich Zeit, Ruhe und Musse, es allmählich zu verarbeiten. Meine Radiolarien-Arbeit hoffe ich noch in diesem Herbst zu vollenden. Doch sind erst 20 Tafeln gestochen und mit dem Text bin ich auch nicht fertig. Die Tafeln sind übrigens sehr schön ausgefallen und machen mir viel Freude. Wenn jetzt nicht das Colleg über Zoologie meine ganzen Kräfte absorbirte, so wäre ich wohl schon fertig. Es werden 33 Tafeln werden.

Deiner freundlichen Einladung, dich auf deiner Reise nach Jütland und [Fühlen?] begleiten, würde ich sehr gerne folgen, theils um das „barbarische“ Dänemark, theils um den Norden, der mir noch fast unbekannt ist, etwas kennen zu lernen. Aber du wirst dir schon selbst denken können, dass meine officielle Thätigkeit dies nicht erlaubt. Mitte August, wo du schon wieder zurück zu sein gedenkst, schliesst hier erst das Sommersemester. Uebrigens müsste ich wohl auch aus andern Gründen zu Haus bleiben, da mir mein Vater neulich eröffnet hat, dass seine Finanzen dieses Jahr auch nicht einen Pfennig Reisegeld für mich abwürfen. Ich werde also die Ferien über ruhig hier bleiben und arbeiten, und höchstens im September auf ein paar Wochen nach Berlin, vielleicht auch Heringsdorf, gehen. Der || Mangel einer Ferienreise wird dir übrigens diesmal insofern erträglicher, als die Gegend hier überaus reizend ist und eine Menge allerliebster Gebirge - und Wald-Parthien bietet, deren wir häufig Sonntags machen. Ich habe eine reizende Wohnung, ganz ausserhalb der Stadt, aus deren Fenstern ich das ganze Saalthal bis nach Dornburg hin überblicke. Im Winter werde ich mich freilich wohl ein bischen einsam fühlen. An Heirathen kann ich erst denken, wenn ich eine Professur habe, und die liegt natürlich in blauer Ferne. Dass ich dir meine Hochzeit, sobald sie einmal bestimmt ist, anzeigen werde, versteht sich natürlich von selbst, und ich hoffe, dass du dann unter den Hochzeitsgästen nicht fehlen wirst. Meine Braut ist übrigens sehr munter, ebenso mein Bruder nebst Familie und mein Vater. Dagegen ist meine Mutter viel kränklich. Von unseren Freunden höre ich wenig. Dieser Tage schrieb mir Martens aus Manila. Er ist sehr wenig von den Reise-Ergebnissen befriedigt; doch geht's ihm gut. Hartmann wird wohl in Berlin eine glückliche Carrière machen. Virchow wirft sich jetzt ganz auf Politica und wird wohl in unserer nächsten Kammer eine glänzende Oppositionsrolle spielen. Bezold geht nächsten Winter nach Paris. Von Focke weiss ich Nichts. Ich werde hier im Winter wieder Zoologie, nächsten Sommer aber Histologie lesen. –

In der Hoffnung, bald mal wieder etwas von dir zu hören, mit herzlichem Gruss

dein treuer Haeckel.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
06.07.1861
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Unbekannt
ID
33107