Dohrn, Anton

Anton Dohrn an Ernst Haeckel, Hamm, 16. Februar 1866

Hamm. 16 Februar 1866.

Lieber Haeckel!

Trotzdem Du mir neulich zwar hart aber ehrlich Deine Anschauungen über mich gesagt hast, oder vielmehr grade weil Du sie mir gesagt hast, glaube ich doch fest daran, dass in Dir dennoch ein gut Stück Sympathie für mich lebt, und dass dieselbe Freundschaft, die Du mir erst jetzt wieder in so hohem und nur durch die Schranken unsrer, in vielen Theilen, – für mich leider! – so verschiedenartigen, Naturen begrenzten Maasse bezeugt hast, nicht an dem Ausdruck dieser Verschiedenartigkeit zu Grunde gehen wird. Gewiss, wenn Du meinen Schwager und meine Schwester über das Unglück sprechen hörtest, in das ich gerathen bin, Du würdest zwar meine Handlungsweise tadeln, aber Du würdest das Gefühl, das mich zur Trennung der Verlobung zwingt, nicht als Mangel an Pflichtgefühl, oder alsa Characterlosigkeit brandmarken. Ich habe hier nachträglich gehört, dass mein Schwager damals in Hökendorf diesen Ausgang vorhergesagt hat, als er Theresen kennen gelernt hatte, dass er es für schwer glaublich gehalten hat, wir würden je zu einer genügenden geistigen Verschmelzung gelangen, da bei Theresen keine Spur irgend eines geistigen Interesses von ihm gefunden worden wäre. Meine Schwester aber erklärt mir vollkommen meine Blindheit in diesem Punkte, denn sie sagt, sie habe selbst zur Beschleunigung der Verlobung gerathen, weil sie eben wie ich in Theresen förmlich verliebt gewesen sei und diese Seite ihres Wesens unter der bezaubernden Lebhaftigkeit und leuchtenden Schönheit gar nicht vermisst habe. Beide haben mir aber gesagt, ich müsse durchaus ruhig und besonnen sein: sie glauben Beide nicht, dass eine Ehe || zwischen uns möglich sei, rathen aber mir von gewaltsamen Schritten ab, da eine Trennung sich von Theresen’s Seite aus ganz von selbst machen würde, und ich keinenfalls mein Wort freiwillig zurückziehen dürfte. Das ist mir auch Alles ziemlich klar geworden, – und der Aufenthalt hier mit ihnen und all den Kindern giebt mir wieder ein gutes Stück Ruhe wieder, so dass ich mit Freude und entschiedener Anerkennung Weismanns Buch studire. Es gefällt mir sehr gut; ich habe es sehr genau durchgenommen, bin auch erst mit der embryonalen Entwicklung von Chironomus zu Ende, aber es macht mir darum so viel Freunde, weil die Beobachtungen scharf, die Darstellung geschickt und das Ganze aus höheren Gesichtspunkten abgefasst ist. Ich hoffe, es soll mir in mehrfacher Weise Nutzen bringen. Abends lerne ich immer eine Stunde Italienisch, – wenn ich wieder in Jena bin will ich, wenn ich irgend in meinen gesundenden Zustande bleibe, noch mehr unternehmen; ich muss ja sonst schliesslich krank werden, wenn ich diese Arznei nicht gebrauche.

Das mag Dir einstweilen nur ein Beweis sein, dass ich nicht zum Verzweifeln bin, dass auch für das arme Mädchen dieser Ausgang immerhin der bessere ist. Sie ist stolz und stark; sie wird einsehen, dass ihr Glück nicht mit mir gekommen wäre, wenn sie erst ruhiger wird; ihre geistige und moralische Gesundheit wird ihr ausserdem bei ihrer Jugend gewiss zu einer passenden Ehe helfen, denn sie ist zum Handeln geschaffen. Ich habe das feste Bewusstsein, dass ich ihr das schlimmere Elend erspare, – und darum wird mich von jetzt ab kein Rath mehr umstimmen. –

So viel von mir. Dass ich heut, an Deinem Geburtstage und an dem Todestage Deiner guten Frau an Dich schreibe, halte ich für das Vorrecht, dessen ich hoffentlich bei Dir noch nicht verlustig gegangen bin. Nimm meinen Glückwunsch, dessen || Inhalt, nach dem was wir neulich zusammen gesprochen haben, wohl nicht zweifelhaft sein kann. Glaube nur, Du wirst schon noch finden, was Du suchst; Du bist zu pessimistisch gegen die Gesellschaft. Ich bin gescheitert, aber ich verliere jetzt doch nicht den Muth, das will ich Dir beweisen. Und wie viel mehr bietest Du, und auf wie viel mehr Kraft stützt Du Dich, als ich! Geh nur wieder in die Welt, sie wird Dir schon entgegen kommen!

Und nun leb heute wohl. Aber, lieber Haeckel, lass Dein Urtheil nicht zu hart gegen mich in Dir Fuss fassen. Das bitte ich von Herzen.

Dein

Anton

Ich komme bald wieder. Meine Schwester grüsst Dich herzlich.

a eingef.: als

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.02.1866
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3310
ID
3310