Dohrn, Anton

Anton Dohrn an Ernst Haeckel, [Hökendorf bei Stettin], 19. Juli 1865

19. Juli 1865.

Lieber Haeckel!

Nachdem ich mich von meiner Niederlage etwas erholt, will ich sie Dir mittheilen. Mein Unstern und das von mir gewiss mit Recht angeklagte Gedächtniss haben sich verbunden und mir einen Abend bereitet, den ich Niemandem gönnen möchte. Mein mündliches Examen fiel nicht zum Genügen der Facultät aus, und ich muss es nochmal machen. Was für Dinge ich nicht gewusst, ist mir um so unbegreiflicher, als ich in den letzten Monaten fortdauernd repetirt und zwar à la Sisyphus, da ich ohne Anschauung der Gegenstände, das heut Gelernte, morgen schon wieder vergass. Aber im Traum hätte ich nicht an ein solches Ergebniss gedacht, und ohne wirklich recht boshaftes Pech, hätte es auch unmöglich dahin kommen können. So ging es mir mit Braun recht schlecht. Statt Pflanzenanatomie, resp. Histologie fragte er mich nach Pflanzengeographie, von der ich gar nichts gelernt: er hätte ja einmal früher mit mir davon gesprochen! Diese Verwechslung mit meiner ausdrücklichen Bitte war natürlich verhängnissvoll. Trendelenburg biss auf Darwin an, und wurde ganz wüthend über meine Widerhaarigkeit; er wollte mit Gewalt „Zwecke“ in der Natur entdecken, die ich ihm sehr entschieden, aber offenbar unklug, abstritt. Beyrich war anständig und auch wohl befriedigt, Peters aber fragte mich zum Theil nach mir ganz geläufigen Dingen, zum Teil nach solchen, die ich jedenmals zu wissen der Meinung gewesen, aber doch nur oberflächlich kannte. Dann aber brach mir den Hals || dass ich nicht auf die „Radiata“ Cuviers kam: dass ich diese nicht gekannt hätte wird wohl Keiner glauben; hat man mich damit für mein Gedächtniss verantwortlich machen wollen – bon, ich muss es mir gefallen lassen. Hätte Peters, wie alle anständigen Examinatoren, mir gesagt, in welchem Kreise seine Fragen sich bewegen würden, so hätte ich gewiss im Durchlesen der Gerstäckerschen Myriopoden und Crustaceen-Einleitungen Alles gefunden, was er wünschte: dies versäumte ich, weil ich mich in den Vergleichungspunkten der Arthropoden für sicher hielt, auch Molluscen und Wirbelthiere einpaukte, weil ich dort seinen Angriff erwartete. – Es ist nun anders gekommen, ich füge mich bedauernd, werde es nun grade in Berlin wiederholen, nachdem mir Grube in Breslau ablehnend geantwortet, und gerathen, des Anstands wegen noch 1–2 Monat zu warten. Soweit dies traurige Ereigniss, wofür ich wohl zum guten Theil meine polyhistorischen Neigungen verantwortlich machen muss.

Nun beziehentlich der Reise Folgendes: Siebold hat mir bis heut noch nicht geantwortet; ich weiss also durchaus nicht, was er intendirt, werde ihm aber bald einen neuen Brief schreiben. Im Uebrigen bleibt es jedenfalls bei 1 September Triest. Karten habe ich gekauft, von Illyrien etc und von Dalmatien. Willst Du Beide übersandt haben? Schicke ich meine Instrumente am besten gleich nach Triest post restante? –

Meiner Braut geht es gut, nur ist uns unser Zusammensein hier in Hökendorf abgesehen von meinem Examensmalheur auch noch durch die pleuritische Erkrankung ihres schon schwindsüchtigen ältesten Bruder, || der zur Erholung und Kur in Soden, Kreuth und Tegernsee gewesen, in soweit verdorben, als ihre Eltern mit meinem Freunde Otto Gierke nach Tegernsee zu seiner Pflege abgereist sind. Mein Vater ist ausserdem fortdauernd durch allerhand Dinge in zum Theil unerträglicher Laune, so dass die gehofften schönen Wochen recht sehr umgewandelt sind. Ceterum censeo, dass die Zukunft dennoch schön aussieht, und dass, wenn ich mir mehr innre Befriedigung geschafft habe, ich auch solche aeusseren Unannehmlichkeiten leichter bewältigen werde. Einstweilen ernte ich noch meine Erziehungsfrüchte. Mit Dir eng zusammen zu bleiben, wird mir gewiss aeusserst wohlthätig sein; Du nimmst ja so liebevollen Antheil an meinem Glück, dass Du auch gewiss a die Folgen der früheren Sünden nicht als hoffnungslose Zeichen meiner Zukunft ansiehst; das würde mir sehr traurig sein. –

Grüssen soll ich Dich von Therese und meiner Schwester, die mit der ganzen Familie hier ist. Leb wohl und antworte mir bald nach Stettin.

Dein

Anton

Mein Malheur verschweigst Du, nicht wahr?

a gestr.: nicht

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.07.1865
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3300
ID
3300