Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Paul von Rottenburg, Jena, 27. Dezember 1911

Jena 27.12.1911.

Liebster Freund!

Deine freundlichen Weihnachtsgaben, der hochfeine Caviar und der edle Cherry-Brandy, sind wohlbehalten hier eingetroffen, ebenso der schöne Kalender mit den Photogrammen! Herzlichsten Dank für Alles!

Dazu kommt nun noch so eben Dein lieber Brief und der Neujahrsgruß aus Eurem stattlichen Schloß Dalnair, nebst der liebenswürdigen Einladung, dort Euer Gast zu sein. Wie gern würde ich ihr folgen! Aber ich fürchte, daß für mich die Reisefreuden überhaupt vorbei sind. Die mangelhafte Beweglichkeit und Die Schmerzhaftigkeit in dem verletzten Hüftgelenk bleiben immer dieselben, jetzt schon seit 8 Monaten.

Ich glaube nicht, daß ich je wieder werde ordentlich gehen können – leider! – ||

Heute erhielt ich vom Postamt in Edinburgh die offizielle Mitteilung, daß die Kiste mit Bildern, die ich via Hamburg an Dich abgeschickt hatte, in Edinburgh zerbrochen und der Inhalt (Bilder) stark beschädigt a angekommen sei. Du schreibst mir davon Nichts. Bitte mir ehrlich mitzuteilen, ob die Bilder wirklich stark verletzt und unbrauchbar geworden sind; in diesem Falle würde ich sie natürlich durch andere ersetzen. Die Verpackung der Kiste war gut und sie gingen in bestem Zustande von hier ab.

Aber in dem kolossalen Weihnachts-Trubel gehen die Postbeamten oft fürchterlich mit den Sachen um, wie ich schon öfter selbst gesehen habe. ||

Heute brachte die Zeitung die neue Weihnachtsüberraschung, daß über Nacht in Ostasien ein neues großes Reich geboren sei, die Mongolei (– als Lama-Kirchen-Staat, mit päpstlicher Spitze, à la Tibet! –) Wahrscheinlich ein neuer guter Bissen für Russland! Und dazu Persien etc!!

Was sagt der Freund England dazu? Und der Deutsche Michel? Für letzteren würde, wenn die Türkei ganz aus dem Leime geht, Klein-Asien allerdings eine sehr schöne „Kompensation“ sein; als ich dieses herrliche Land (– die Wiege der ionischenb monistischen Naturphilosophie –) in den Jahren 1873 und 1887 bereiste, und dort blühende deutsche Kolonien fand, bekam ich auch patriotische Annexions-Gelüste! Dazu jetzt noch die Bagdad Bahn. Es scheint wirklich, als ob die ganze alte Welt aus dem Leime gehen müßte; dann wird es aber möglicherweise kaum ohne Weltkrieg abgehen! Und das Ende? ||

Zum kommenden neuen Jahr senden Schwester Röschen und ich Dir und Deiner lieben Familie unsere herzlichsten Glückwünsche! Ich hoffe sicher, Dich in demselben noch einmal hier wieder zu sehen – ehe ich die letzte Reise, in die Ruhe des „Nirwanas“ antrete! Benutze also die erste Gelegenheit eines „Trips to the Continent“, um einen Abstecher nach Jena zu machen; Du weißt, Daß Du hier stets der willkommenste Gast bist!

Seit Kurzem (September) haben wir hier auch ein wirkliches Hôtel I. Classe: „Der Fürstenhof“ (–Palast-Hotel –), nahe dem Markt und dem Paradies.

Stets Dein treuer alter

Ernst Haeckel.

a gestr.: worden sei; b irrtüml.: inonischen

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
27.12.1911
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 32929
ID
32929