Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Paul von Rottenburg, Baden-Baden, 24. Mai 1909

Baden-Baden 24. Mai 1909.

(Luisen-Str. 20, bei Wolff).

Liebster Freund!

Für die hochherzigen Gaben, mit denen Du das ideale Band unserer 33jährigen Freundschaft „materialistisch“ abermals verstärkst – die wunderbare Pelzdecke von dem „heiligen“ Caraboss Affen, das wohltuende Harris-Tweed aus Schottland – und die exquisiten 6 Flaschen Kaffee-Essenz aus Paris – sage ich Dir meinen tiefgefühltesten Dank! Du Guter, von echter „christlicher Liebe“ Beseelter! Übertreibe Deine Menschenliebe nur nicht! sonst kommst Du „zu hoch“ oben in Himmel! ||

Ich bin nunmehr 14 Tage in dem herrlichen Baden, das ich noch nie im Mai gesehen habe – ein wundervoller Mai diesmal, mit dem schönsten Sonnenschein; die Vegetation entzückend; alle Häuser von blühenden Glycinen bekränzt, die Gärten und Parks voll gelben Azaleen, violetten, a roten und weissen Rhododendren, Magnolien etc: ein „Paradies“!

Ich wohne diesmal nicht im Hôtel (de Paris), sondern in einer hübschen Privatwohnung, gegenüber der Trinkhalle – um ruhig zu leben und nicht von Neugierigen und Interviewers überlaufen zu werden. ||

Die Bade-Kur, verbunden mit schwedischer Gymnastik, führe ich gewissenhaft durch; sie bekommt mir sehr gut. Ich kann schon wieder ein paar Stunden (langsam!) spazieren gehen, was seit ½ Jahre nicht möglich war. Ich hoffe das alte Knochengerüst noch einmal zu repariren – leidlich!

Auch die unsterbliche „Seele“ lebt wieder auf, nachdem das arme Ding durch die vielen Torturen des letzten Jahres (Bau und Einrichtung des Phyletischen Museums, Universitäts Jubilaeum, Abschied vom Amt und Zoologischen Institut) – viel Ärger mit Bauleuten etc – stark gelitten hatte! ||

Ich bleibe noch bis Anfang Juni hier und werde dann wahrscheinlich zur „Nachkur“ noch 2 Wochen in die Schweiz gehen (Interlaken?). In der vierten Juni-Woche kehre ich nach Jena zurück und bleibe vorläufig dort. Schwester Röschen geht es jetzt wieder besser; sie hat 2 Monate an Influenza gelitten.

Unseren Kindern geht es gut.

Im Sommer oder Herbst hoffe ich Dich jedenfalls in Jena zu sehen und Dir die Reize des oberen Saaltals zu zeigen.

Mit herzlichsten Grüssen – auch an Deine liebe Familie –

Dein treuer alter

Ernst Haeckel.

a gestr.: und

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
24.05.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 32904
ID
32904