Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Paul von Rottenburg, Jena, 27. Dezember 1908

ZOOLOGISCHES INSTITUT

DER UNIVERSITÄT JENA.

Jena 27.12.08.

Liebster Freund!

Für Deine reichen Weihnachtsgaben unseren herzlichsten Dank! Caviar (exquisit!) und Bols (der edelste aller Schnäpse) kommen gerade recht für meine Reconvalescenz. Ich hatte am 11.12. das Pech, auf der Straße (beim Ausweichen vor einem Wagen) der Länge nach hinzufallen und das linke Knie zu verletzen (– dasselbe das mir vor 8 Jahren die Reise durch Sumatra verdarb! –). 14 Tage mußte ich steif zu Bett liegen. Jetzt geht es besser und ich bin stundenweise auf; es ist aber leider fraglich, ob ich die geplante Darwin-Feier am 12.2.09 (– bei der ich meine letzte öffentliche Rede halten wollte –) werde ausführen können. ||

Mit herzlichem Bedauern erfuhr ich, daß auch Du 14 Tage hast zu Bett liegen müssen, mit Fieber etc. Hoffentlich ist das Alles jetzt glücklich überwunden. Das Weihnachts-Fest wirst Du – allein mit Tante Ida – wohl ebenso „still beschaulich“ überwunden haben, wie ich mit Schwester Röschen – fern von den Kindern.

Ich bekam als Weihnachts Geschenk aus Frankreich und Italien ein Dutzend Gratulations-Briefe zum Nobel-Preis (150.000 Mk!). In dortigen Zeitungen stand schon Mitte November, daß ich ihn erhalten würde. Inzwischen erfuhr ich jetzt aus Stockholm, daß tatsächlich eine Konkurrenz zwischen mir und meinem Kollegen Rudolf Eucken stattgefunden hat. || Eucken (ein ganz unbedeutender Philosoph, aber gewandter Schönredner und „Schöner Prediger“) siegte als „Idealist“ und Vertreter des höheren „Geistes“; ich unterlag als elender „Materialist“ und Vertreter der niederen „Natur“! Wenn ich den Preis erhalten hätte, würde ich ihn ganz für das Phyletische Museum verwendet haben, und damit alle Plage um dieses arme „Sorgenkind“ los geworden sein! –

Eine große Freude habe ich aber jetzt doch; die schwierige Frage meines Amtsnachfolgers ist glücklich gelöst; einer meiner besten Schüler, Prof. Plate, tritt Ostern an meine Stelle. Dann bin ich endlich frei, Herr meiner selbst, und kann meine letzten Lebenstage besseren Aufgaben widmen. ||

Es ist auch höchste Zeit, daß ich abgehe. Kraft und Leistungsfähigkeit nehmen rapide ab, und besonders Gedächtnis. So glaubte ich bestimmt, Dir das ausgezeichnete Buch meines (Dir bekannten) Schülers Johannes Walter – jetzt Prof. in Halle –: „Geschichte des Lebens und der Erde“ – bereits geschickt zu haben. Du erhältst es nun in einigen Wochen. –

Für die Patent-Zahnbürsten noch besonderen Dank! –

Schwester Röschen, die mich treulich pflegt, und der es jetzt glücklicher Weise gut geht, sendet mit mir Dir und Deiner lieben Frau die herzlichsten Glückwünsche pro 1909 (– mit der stillen Hoffnung, daß Ihr bald Euer „Otium cum dignitate“ in Jena antretet –)

Dein treuer alter

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
27.12.1908
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 32901
ID
32901