Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Paul von Rottenburg, Jena, 3. November 1908

Jena 3. November 1908.

Liebster Freund!

Der schöne Sonntag (25. October), den wir zusammen in Berlin verlebten, ist mir noch täglich eine liebe Erinnerung, und ich danke Dir nochmals herzlichst für alle die liebevolle Aufmerksamkeit, mit der Du auch diesmal wieder Deiner oft bewährten (– nunmehr 32jährige! –) freundschaftliche Gesinnung kundgegeben hast. Der Besuch im Zoologischen Garten – und besonders das intime Privatissimum bei meiner Schimpanse-Freundin Missi – war reizend, und einmal das hoch fürstliche Hôtel Adlon in seiner Mährchen-Pracht gesehen und gekostet zu haben, war sehr interessant. ||

Aber für einen alten Schulmeister, wie ich bin, wirkt solche Pracht bedrückend, und ich fühle mich sicherer in meinem einfachen Hôtel Hollstein (am Anhalter Bahnhof), wo das Zimmer pro Tag 2 Mk (ohne angehängte 0) kostet.

Sehr gefreut hat es mich auch, daß Du Heinrich citirt hattest, und daß ich Euch im Zoologischen Garten die denkwürdige Stätte zeigen konnte, wo ich am 15. April 1905 meinen „Berliner Kommers“ entgegen nahm, und durch ihre wundervollen Goethe-Recitationen Frl. Holgers kennen lernte, die später als kritische Bearbeiterin der „Welträtsel“ (der jetzt erscheinenden „Taschenausgabe“) sich verdient macht. ||

– Seit 4 Tagen ist ganz Deutschland in Aufruhr über die unglaublichen Schwätzereien von „Wilhelm II, dem Grössten“! – und über das Unheil das der verblendete Caesaren-Wahn dieses kaiserlichen Schauspielers – der Alles will und Nichts kann! – heraufbeschwört! Und zu dieser politischen Tragoedie das lächerliche Satyrspiel der Bülow’schen Entschuldigung (in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung am 31)!!– Wohin soll das führen? – Bismarck würde sich im Grabe umdrehen!

– Inzwischen bereite ich hier alles für die „Klosterzelle“ des Phyletischebn Museums vor, in die ich Ostern übersiedle, und hoffe daß mein lieber Freund Paul Rottenburg mir bald in die benachbarte (für ihn reservirte!) Zelle nachfolgen wird?

– Mit herzlichsten Grüßen

Dein alter E. Haeckel. ||

P. S. Für die übersandten Proben von „Harris-Tweed“ noch besonderen Dank! Ich brauche Keines, da mein alter Leib noch reichlich mit Winterhüllen versehen ist.a ||

[Druckschrift]

Phyletisches Museum in Jena.

Zahlreiche Anfragen, betreffend den Besuch des neuen Phyletischen Museums in Jena, veranlassen mich zu folgender Mitteilung. Das Gebäude des Museums (Neugasse 22), welches innerhalb Jahresfrist fertig gestellt wurde, ist zwar am 30. Juli 1908 der Universität Jena – bei Gelegenheit ihrer 350jährigen Jubelfeier – als Eigentum übergeben worden; es ist aber noch so feucht, dass die innere Ausstattung und das Einräumen der wertvollen Sammlungen erst im nächsten Frühjahr beginnen kann. Voraussichtlich wird diese umfangreiche Arbeit noch das ganze nächste Jahr in Anspruch nehmen, so dass die Oeffnung der Schausammlungen für das Publikum erst im Frühjahr 1910 stattfinden kann.

Die Geldmittel für den Bau und die Ausstattung des Museums sind lediglich durch freiwillige Beiträge meiner Schüler und Freunde, sowie durch hochherzige Gaben von begüterten Anhängern der Entwickelungslehre gesammelt worden. Weitere Gaben dafür nimmt dauernd das „Rentamt der Universität Jena“ entgegen, das darüber zu quittieren amtlich ermächtigt ist. Von den Erträgen dieser fortgesetzten Sammlung wird es abhängen, ob dieses „Erste Museum für Entwickelungslehre" in vollem Maße das hohe Ziel erreichen wird, welches mir bei seiner Gründung im Beginne des Jahres 1907 vor Augen stand, die Schaffung einer öffentlichen Bildungsstätte für wahre Natur-Erkenntnis, eines Tempels für den Kultus des Wahren, Guten und Schönen.

JENA, 18. August 1908.

ERNST HAECKEL.

a Text weiter am unteren Rand von S. 4: P. S. Für … versehen ist.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
03.11.1908
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 32899
ID
32899