Dohrn, Anton

Anton Dohrn an Ernst Haeckel, Berlin, 8. Juli 1864

Berlin. 8.VII.1864.

Lieber Freund!

Sei herzlich bedankt für Deinen freundlichen Brief, aus dem ich mit grosser Befriedigung ersehen habe, dass zwischen uns eine feste und dauerhafte Brücke besteht, die uns verbindet. Wie meine Religion, so ist es auch die Deinige, die schrankenlose Wahrheit an die Stelle der eingebildeten Hirngespinnste zu setzen, und das Bewusstein in dem Streben nach solchem Ziel einen thätigen Freund zu haben, der genau, ganz genau denselben Standpunkt einnimmt, hält gewiss Menschen zusammen. Gern würde ich mal eine Zeitlang mit Dir zusammen sein, denn seit wir uns nicht gesehen haben, sind mir eine ganze Anzahl von fruchtbaren Ideen gekommen, und meine Anschauungen über die verschiedensten Dinge habe icha allmählich mit genauem Bewusstsein der Vorgänge und Verknüpfungen unter einen Gesichtspunkt gefasst, der auch den Darwin einschliesst. Es ist natürlich nichts Neues, was nach meiner Meinung die Welt regiert, aber doch scheint mir, als wenn noch nicht darauf hingewiesen worden ist, was seit Jahren in fast allen Gebieten der Forschung einzeln geschieht: dass nämlich die, am klarsten und ausführlichsten von Darwin entwickelten Grundsätze überall Geltung haben. Es ist jetzt mein Bestreben zu beobachten, wie diese Prinzipien sich in den verschiedensten Gebieten herausarbeiten, wie Lyell in der Geologie, Buckle in der Historik, Julius Braun in der Kunstgeschichte und Mythologie, wie Darwin im Gebiete der Organismen, ja wie Handelsfreiheit und jede politische Regung, wie || jegliches Denken b von dem Dasein des Entwicklungs-Gesetzes oder Prinzips oder wie man es heissen will, Zeugnis ablegt. Endlich haben wir das Zauberwort, was jeder Autorität, jedem Conservatismus religiöser, politischer und wissenschaftlicher Art den Boden entreisst. Alles lässt sich jetzt aus einem Gesichtspunkt fassen; von nun an braucht der Materialismus nicht mehr den Idealismus zu bekämpfen nicht mehr den Beweis seiner Wahrheit aus sich selbst zu holen; er ist bewiesen durch das Entwicklungsgesetz, das jede unorganische Einschachtelung von anderen Dingen mit schneidender Gewalt verwirft, keinen absoluten Geist dulden kann und wird, und Allem Anomalen die Wege weist. – Heute habe ich wieder einen dahin bezüglichen Aufsatz gelesen, der im Feuilleton der National-Zeitung steht und mit wenigen aber schlagenden Worten unser Verhältniss zu Gott und Religion erörtert. Wenn Du kannst und willst, so lies die Paar Zeilen, sie sind überschrieben: Die Religion der Humanität, und stehen in Nummer 313 auf der dritten Seite. Wer der Verfasser ist, werde ich noch herausbekommen, er unterzeichnet Dr. H. S. – – –

Nun aber zu Kölliker. Das streift doch wahrlich ans Unglaubliche! Der Kerl ist wohl vom Teufel besessen! Das ist aber der Fluch so vieler unsrer Naturforscher, sie sind Fachgelehrte aber keine gebildeten Menschen. Zu allgemeinen Gedanken fehlt ihnen all und jede Fähigkeit, und darum blöken sie immer wie unsinnig gegen die Wenigen, die sich mit grösseren Ideen befassen. Ich denke noch dran, wie breit sich die Schultz-Bipontinus’sche Unwissenheit in Stettin machte! Diese Handlanger der Wissenschaft, – und als solchen optimissima forma hat sich Albert Kölliker jetzt documentirt, – sollten doch ihre groben Tatzen von den subtilen Gedankenarbeiten lassen, – sie blamiren sich ja sonst zu fürchterlich. Eine heterogene Zeugung!!! Und wie wirbelt dieser Hanswurst immer mit dem || „Naturgesetz“ herum! Siehst Du, diese Kerls verstehen gar nicht einmal, was ein Naturgesetz ist. Schwatzt der unwissende Mensch nicht grade, als ob die Naturgesetze Dinge wären, die von Urbeginn der Ewigkeit anc, oder wie man solchen irrationellen Bestimmungspunkt ausdrücken soll, dagewesen wären? Nach Kölliker und vielen andern weisen Leuten waren zu Anfang die Naturgesetze, dann kam gefälligst die Welt und wurde nach der Verfassung dieser Naturgesetze regiert. Dabei sind sie eben noch gefällig genug, zuzugeben, es fänden ich in ihrer Verfassung keine Lücken und Verfassungsbruch käme nicht vor. Die dummen Teufel! Naturgesetz ist für uns weiter nichts als der Ausdruck des Resultates des Kampfs ums Dasein. Die grössere Kraft bestimmt unter allen Umständen den Hergang jeder Erscheinung, das ist das Einzige, was die Welt regiert, das grosse Naturgesetz, dessen specielle Varianten alle die verschiedenen kleinen sind. Und die Harmonie der Welt ist nur eine Harmonie, wie sie einstens die Nord- und Südstaaten Nord-America’s zeigen werden, wenn sie so gründlich sich miteinander geholtzt haben, dass Einer dem Andern unterliegt und nichts mehr gegen ihn vermag. Kölliker würde nun freilich für diesen Kampf und seinen Ausgang wieder ein specielles Naturgesetz beanspruchen etwa mit dem Namen des: Faustgesetzes, da wäre denn freilich zu wünschen, dass dieses Gesetz auf seinen Urheber zuerst Anwendung fände, und bin ich gern bereit die Ausführung zu übernehmen, zur Strafe für die Entweihung des Darwin’schen Namens. Wenn man solchen Blödsinn liest, wie gleich auf der zweiten Seite: „Darwin glaubt nicht an allgemeine Naturgesetze“, da möchte man gleich aus der Haut fahren. Natürlich nicht, insofern das, was Kölliker Naturgesetze nennt, entweder einfacher Blödsinn, wie die heterogene Zeugung, oder einzelne Kräfte sind, aus deren Gegeneinander-Kämpfen ein Resultat erfolgt, das Kölliker thöricht genug einem Gesetz zuschreibt. Aber wer kann all den Blödsinn widerlegen! ||

Recht sehr freut es mich, dass Du an Gegenbaur einen so vorzüglichen Freund hast, denn wenn Jemand eines solchen bedürftig ist, so bist Du es, armer Ernst! Aber ich bitte Dich dringend, auch mich zu diesen zu zählen und es mir dadurch zu beweisen, dass Du mir immer, wenn Du recht traurige Gedanken hast, schreibst. Du kennst nicht mein Leben, Du weisst nicht, wie tief ich mich schon in mich selbst vergraben habe, das weiss Gott sei Dank ausser mir nur noch ein Mensch, und soll auch nie Jemand von mir erfahren, aber wer scharf sieht, der muss sehen, dass ich nicht der unerfahrene, grüne Student bin, für den man mich zu halten durchaus berechtigt ist. Also hab dreist das Vertrauen zu mir, das [!] ich Deinen Schmerz würdige und verstehe, und schreib Alles, was Dein Herz drückt an mich, Deinen treuen Freund. Leb herzlich wohl, und gieb mir recht bald das gewünschte Zeichen Deiner Freundschaft.

Dein

Anton.

Empfiehl mich Gegenbaur freundlichst, und sollte das eingetreten sein, was Du mir ankündigtest, so gratulire in meinem Namen.

Unsre andern Bekannten fühlen wohl sämmtlich nicht reich genug, um auch jetzt noch Dich nicht zu verlassen: nimm es ihnen nicht übel; wenn Du sie siehst, grüsse sie von mir.

Da ich keine Marke habe, so schreibe in [!] unfrankirt, thu mir den Gefallen und revangire Dich dafür.

Die Meinigen grüssen Dich auf Herzlichste! Empfiehl mich Deinen Eltern!

a korr. aus: haben sich; b gestr.: de; c eingef. an

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
08.07.1864
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 3289
ID
3289