Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Paul von Rottenburg, Jena, 16. Juli 1907

Jena, 16.7.1907.

Liebster Freund!

Deine Mitteilung über Euer unbefriedigendes Befinden haben unsere herzlichste Teilnahme erregt. Ich beeile mich, Dir meinen therapeutischen Rat zu erteilen, so gut ich kann. Wenn es sich bei dem Leiden Deiner lieben Frau hauptsächlich um Gicht handelt, würde ich den Gebrauch eines Wildbades vorziehen, vor Allem Baden-Baden, wo ich schon mehrfach selbst die besten Erfahrungen gemacht habe. Ich kann Dir dort einen sehr guten Arzt, Hofrat Dr. Obkircher empfehlen, der die vorzügliche schwedische Gymnastik – zugleich mit den Wild- und Schwitz- und Moorbädern – erfolgreich leitet. ||

Auch sonst hat ja Baden-Baden durch Klima, schöne Natur, herrliche Spazierfahrten, guten Lesesalon etc. große Vorzüge. Als Abstiegs-Quartier kann ich Dir den „Französischen Hof“ sehr empfehlen.

– Nächstdem kämen Gastein, Wildbad (-Würtemberg) etc in Frage. – Falls die Niere oder Blase mit afficirt ist, würde wohl Wildungen (Helenen-Quelle) vorzuziehen sein, wo ein ausgezeichneter Arzt, Dr. Marc, (Geheimer Rat) als Autorität I. Classe fungiert. Die dortige Cur, im letzten Herbst, ist mir sehr gut bekommen. Meine alten Gelenk-Beschwerden sind seitdem fast beseitigt. ||

– Karlsbad und Franzensbad – die ich beide nicht aus eigener Erfahrung kenne – scheinen mir in Eurem Falle weniger geeignet.

– Jedenfalls würde ich Euch strenge Diaet empfehlen: vorwiegend vegetarische Kost, (Vermeidung der allzu üppigen englischen Fleischkost! a – keinen starken Alkohol!! –) – reichlich trinken von Soda- und Selters-Wasser – auch Wildungen Helenen Quelle (täglich ½–1 Flasche). Die kranken Gelenke trocken warm halten und eventuell massiren.

– Wenn Du einen Abstecher nach Jena machen kannst, würde uns Dein lieber Besuch natürlich sehr erfreuen! ||

Wir bleiben Juli und August hier, wollen September auf 4 Wochen in die Sommerfrische, wahrscheinlich nach München und in dessen Nähe, in das Bayrische Gebirge; – falls es die Gesundheit von Schwester Röschen gestattet, die bisher diesenb Sommer leidlich war – trotz des scheußlich kalten und nassen Wetters (wie in ganz Mittel-Europa!).

– Der Sommer war für mich sehr unruhig, durch den Bau meines Museums, die Schwedische Linné-Reise, den Vortrag im hiesigen Volkshause (contra Stadt, Reinke etc.) doch bin ich noch arbeitsfähig – und das ist die Hauptsache.

– Deine pessimistische Beurteilung des modernen Lebens teile ich vollständig! –

– Mit besten Grüßen

Dein treuer alter E. Haeckel.

a gestr.: ); b korr. aus: dieses

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
16.07.1907
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 32877
ID
32877