Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Paul von Rottenburg, Berlin, 30. Mai 1907

Berlin 30.5.07.

Liebster Freund!

Die erste ruhige Stunde, die ich seit Wochen erlangt habe, benutze ich um Dir ein Lebenszeichen zu geben. Dieses Frühjahr war für mich höchst unruhig: erst im März das 50jährige Doktor Jubiläum mit einem Übermaaß von Glückwünschen etc., dann im April die 4 wöchentliche „Erholungsreise“ nach Riviera, die bei dem ungewöhnlich kalten Wetter (Vegetation 6 Wochen zurück) wenig gemütlich war. Ich fand indessen Viel zu malen, besonders an dem wenig besuchten östlichen Teil der Riviera zwischen Nervi und Spezia, wilde Felsenküste. Da Du um diese Zeit die interessante Mittelmeer Reise nach Corfu und Dalmazien (Montenegro) machtest, wirst Du den „südlichen Frühling“ wohl auch etwas kühl gefunden haben. ||

Die beiden letzten Maiwochen habe ich zu einer Schweden-Reise benutzt, zur 200jährigen Linné-Feier in Upsala, von deren großartigem Verlaufe Du in den Zeitungen gelesen haben wirst; mehrere hundert Naturforscher (meistens Botaniker, aber auch viele Zoologen) waren aus allen Weltteilen zusammengekommen, um das Andenken des großen Gründers des „Systema naturae“ würdig zu feiern. Meine alte (– „ehrwürdige“! –) Person war in mehrfacher Beziehung besonders beteiligt. Bei dem großen Festmahl, das der Rector der Universität Upsala gab, fiel mir die Aufgabe zu, die Antwort auf seine Rede im Namen der auswärtigen Gäste zu geben. Der Höhepunkt der Feste war die große (4stündige) Feier im Dome von Upsala (der größten Kirche Schwedens). ||

Die Massen-Promotion (– 120 Ehren-Doctoren!) war großartig. 3 Jubel-Doctoren wurden durch besondere Anreden und Ovationen ausgezeichnet: die berühmte Schriftstellerin Selma Lagerlöf, Prinz Eugen (genialer Maler und Philosoph) und Dein alter Freund Ernst Haeckel. Bei diesen 3 Jubel-Promotionen durchbrauste tosender Beifall die heiligen Hallen der Cathedrale, die mit mehr als 3000 Menschen dicht gefüllt war (– zum großen Kummer der Schwarzen Geistlichkeit! –)

Sonntag Nachmittag (26.5.) war ich in Stockholm 2 Stunden – im Königlichen Schloß und unterhielt mich lange (über Phylogenie! Challenger etc.) mit dem Kronprinzen i. seinem Sohn, Prinz Eugen und Prinzess Ingeborg (Höhepunkt meiner „Excellenz-Existenz“!) Der schnurrige neue Doctor-Hut paßt sehr gut zu Deinem schönen grauen Anzuge!! –) ||

In den 3 Schwedischen Universitäten (Lund, Upsala, Stockholm) sind viele neue schöne Museen und Institute gebaut, deren Studium mir für den Bau meines Phylogenetischen Museums in Jena von großem Interesse war; der Bau des letzteren soll jetzt beginnen. –

Gestern bin ich von Stockholm direct (in 24 Stunden, über Trelleborg, Sassnitz) nach Berlin gereist und studire hier noch ein paar Tage die Museen.

Sonntag (2 Juni) zurück nach Jena.

– Wir hoffen sicher, Dich im Laufe der beiden nächsten Monate in Jena zu sehen; ich habe Dir Viel zu erzählen u. zu zeigen; auch Meyers sind auf ihrer „Landgrafen Burg“.

– Hoffentlich geht es Dir und den Deinen gut! Mit besten Grüßen Dein treuer

alter Ernst Haeckel

P. S. Dein wundervoller blauer (warmer und leichter!) Reisemantel hat mir herrliche Dienste geleistet!). –

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
30.05.1907
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 32875
ID
32875