Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Paul von Rottenburg, Jena, 31. März 1906

Jena 31.3.1906.

Liebster Freund!

Da ich vermute, daß Du in diesen Tagen von Deiner zweiten Africa-Reise glücklich heimgekehrt bist, sende ich Dir dorthin einen herzlichen Willkommens-Gruß; zugleich besten Dank für die vielen schönen Postkarten, die Du mir aus Egypten sandtest. Sie erweckten in mir lebhafte Sehnsucht nach den wunderbaren Nil-Gegenden, um so mehr, als der Winter bei uns zwar milde, aber sehr trübe und sonnenarm war; seit 8 Tagen genießen wir dafür (Ende März!) strengen Nachwinter, mit fußhohem Schnee auf allen Bergen, Nachts -8° R. ||

Hoffentlich hast Du mit Deiner lieben Familie die Reize des sonnigen Sudan recht genossen und bei voller Gesundheit und in alterprobter unverwüstlicher Frische marschirt, photographirt, dinirt etc. Wenn Du einmal etwas Muße findest und den Berg der Dich erwartendena Geschäfte erledigt hast, würden wir sehr gern etwas Näheres über Eure Reise hören. Am schönsten wäre es, wenn Du Deinen nächsten Trip to the Continent zu einem Abstecher nach Jena benutztest, Du bistb uns immer der willkommenste Gast; wir können Dir jetzt auch (– seit Emma fort ist –) ein nettes Logisstübchen geben. ||

Von mir kann ich Dir leider nichts Rühmliches melden; den ganzen langen Winter habe ich nichts Ordentliches arbeiten können; seit einigen Wochen gehe ich täglich ein Stündchen spazieren, aber die alte Energie scheint verloren zu sein. Von Zeit zu Zeit kommen immer wieder Rückfälle des rheumatischen Fiebers, mit Herzschwäche etc.

Ich sehe übrigens der „ewigen Ruhe“ der [!] Nirwana mit der Resignation des müden Pilgers entgegen; Was ich für die Wissenschaft leisten konnte, ist in der Hauptsache geschehen; und für nennenswerte neue Arbeiten reichen die Kräfte nicht mehr aus. ||

Mein letztes Buch – Prinzipien der Generellen Morphologie – wirst Du von Berlin aus erhalten haben. Du sollst es nicht lesen, sondern als Ergänzung Deiner (hoffentlich vollständigen) Ernst Haeckel Bibliothek einstellen; höchstens kannst Du einmal das Vorwort ansehen. –

Der „Monistenbund“ macht gute Fortschritte; wir haben bereits 4000 Mk in der Sparkasse. Die ersten Schriften werden im Herbst erscheinen. –

Schwester Röschen befindet sich diesen Winter (glücklicherweise) besser als seit vielen Jahren und pflegt mich treulichst.

Sie grüßt mit mir Dich und die Deinen bestens! Stets Dein treuer alter

Ernst Haeckel.

a irrtüml.: ererwartenden; b korr. aus: wirst

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
31.03.1906
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 32858
ID
32858