Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Paul von Rottenburg, Jena, 30. Oktober 1905

ZOOLOGISCHES INSTITUT

DER UNIVERSITÄT JENA.

Jena 30.10.05.

Liebster Freund!

Gestern traf von Hamburg der herrliche Überzieher ein, der als „wärmster Freund“ mein verglimmendes Lebensfünkchen noch einmal anfachen soll – und vor 8 Tagen erfreutest Du mich durch das reizende „Taschen-Farbenkästchen“, das meiner Aquarell-Manie jederzeit Material zur Verfügung stellt! Tausend Dank für diese neuen Beweise Deiner unerschöpflichen Güte!! Da Du mich aber geradezu herausforderst, dieselbe zu mißbrauchen und Wünsche für mein leibliches Wohl zu äußern, so komme ich gleich wieder mit einer „schüchternen“ (– d. h. unverschämten!! –) Bitte, durch deren Erfüllung Du mir wirklich einen großen Dienst leisten könntest – nur gerechtfertigt durch meinen jetzigen elenden Zustand! ||

Du erinnerst Dich vielleicht, daß Du mir vor langer Zeit (20–25 Jahren?) mehrere blaue Steppjacken mit blau seidenen Ärmeln (innen roth flanell gefüttert) schenktest. Diese sind sowohl mir, als auch Schwester Röschen (– die sie für die vollkommensten aller Jacken hält! –) bei unseren längeren Krankenlagern von unschätzbarem Werte gewesen!

Aber auch ihre Lebensdauer ist begrenzt und sie lösen sich jetzt allmählich in Fetzen auf (– Röschen hat sie jahrelang täglich getragen! –). Hier ist nichts Ähnliches zu bekommen, auch kein gutes Surrogat. Falls es daher nicht zu unbescheiden ist, möchte ich Dich bitten, mir – als ausschließliches Weihnachtsgeschenk – eine solche warme Jacke zu verehrten, in der ich, im Bett liegend, arbeiten kann! ||

– Mit meiner Gesundheit geht es sehr langsam vorwärts; ich werde zunächst (wie schon seit 14 Tagen) mehrere Wochen – oder Monate! – im Bett bleiben müssen. Die Winter-Vorlesungen, die heute begonnen, habe ich leider aufgeben müssen; mein Substitut, Prof. Ziegler, vertritt mich. Ich soll mindestens bis zum Jahresschluß mich absolut ruhig halten und alle Anstrengungen meiden. Die rheumatischen Gliederschmerzen und Circulations-Störungen (zu denen noch in Folge Erkältung ein leichter Blasen-Catarrh trat) haben sich gebessert, und auch das Fieber ist verschwunden. Ich werde aber noch lange Zeit brauchen, um den Schaden, den die übertriebene Parforce-Kur in Baden angerichtet hat, wieder auszugleichen. ||

Die beifolgenden Bücher werden Dir hoffentlich in Deinen Mußestunden mannichfaches Interesse bieten.

Fritz Schultze: Stammbaum der Philosophie, ist wohl der bequemste Grundriß, um in kürzester Zeit eine volle Übersicht über die verschiedenen Richtungen und Vertreter der Weltanschauung zu gewinnen. Das Buch von August Forel, einem unserer ersten Psychiater und Monisten (zugleich Ameisenforscher) hat gewaltiges Aufsehen erregt. Das farbige Porträt von mir hat Arthur Schwarz, Director der „Neuen Photographischen Gesellschaft“ in Steglitz bei Berlin, im April dieses Jahres in 1½ Minuten aufgenommen, mit 3 Farbenplatten (gelb, rot blau / à jeweils 30 Secunden).

– Mit herzlichsten Grüßen von Haus zu Haus stets Dein treuer alter

Ernst Haeckel.

(Die „Wanderbilder“ werden erst im December fertig.)

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
30.10.1905
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 32850
ID
32850