Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Max Fürbringer, Tivoli, 6. Oktober 1899

Tivoli, 6.10.1899.

Lieber Freund!

Unmittelbar vor der Abreise von Ajaccio (am 30.9.) erhielt ich Deinen lieben Brief, für den ich bestens danke. Zu meinem grossen Bedauern ersah ich daraus, dass Eure Herbstferien wenig erfreulich und durch das andauernde Kniegelenkleiden Eures Sohnes sehr getrübt waren. Zu Eurem Trost kann ich Dir mittheilen, dass ich als angehender Student ein paar Jahre an dem selben chronischen Gelenkrheumatismus zu laboriren hatte und erst durch wiederholten Gebrauch der Moorbäder (Teplitz, Rheme) davon befreit wurde. Es ist das ein langweiliges und Geduld forderndes Leiden, aber keineswegs trostlos. Ich war freilich damals sehr unglücklich! –

Während der erste Theil meiner Reise, wie gemeldet, sehr glücklich verlief, entsprach dagegen der zweite Theil, der eigentlich die Hauptsache sein sollte, keineswegs meinen Hoffnungen. Obgleich das Wetter während der drei Wochen, in denen ich in Ajaccio fischte, sehr günstig war, blieb meine zoologische Ausbeute sehr spärlich. Das Plankton war während dieser ganzen Zeit „monoton protistisch“. Jeden Tag Millionen von schönen und seltenen Radiolarien, Flagellaten, Peridiuien, Diatomeen etc.; – aber kein einziges grösseres pelagisches Thier! Keine einzige Meduse, Siphonophore, Ctenophore, Salpe, Lagitte u.s.w. Nur Massen von Protisten und Copepoden. Dieser merkwürdige rein negative Befund widerspricht allen meinen bisherigen Erfahrungen – und ebenso der „Theorie Hensen“! Ausserdem ist Ajaccio unbequem für die Zool. marine Arbeit, die Fischer unbrauchbar, die örtliche Gelegenheit schlecht; ich wusste das schon von meinem Frühjahrsaufenthalt vor 24 Jahren; aber trotzdem hatte ich damals (1875) reiche Ausbeute. – ||

Für diese Mängel meiner wissenschaftlichen Ausbeute wurde ich allerdings reichlich entschädigt durch die reichen landschaftlichen Naturgenüsse; ich habe über 30 Aquarelle dort gemalt. Am 30.9. fuhr ich mit der neuen Eisenbahn (die 1875 noch ganz fehlte) von Ajaccio in 8 Stunden nach Bachia. Am 1. October unternahm ich von dort eine herrliche Fahrt, quer durch den südlichen Theil der nördlichen Halbinsel von Corsica von Bastia westlich nach San Fiorenze – über 2 wilde Gebirgspässe von 1 600 Fuss Höhe, zusammen 57 Kilometer! Prächtige Natur! Denselben Abend fand ich noch Gelegenheit, mit einem kleinen Insel-Dampfer (– als einziger Passagier I. Klasse!) von Bastia in 6 Stunden nach Livorno zu fahren. Dann am 2.10. in 12 Stunden mit der langsamen Maremmen-Bahn nach Rom. Hier blieb ich nur 1 Tag und begann gleich eine 8tägige Tour durch das herrliche Sabiner-Gebirge. Hier hatte ich 2 prächtige Tage, und hoffe dasselbe für Subiaco und Olevano. Am 10. oder 11. October denke ich wieder in Rom zu sein und 8–10 Tage dort zu bleiben (Hôtel Hassler). Ich treffe dort mit meinem Neffen Heinrich zusammen. Ende October bin ich wieder in Jena. -

Mein Reisewetter war tadellos, nur etwas zu warm. In den ganzen 8 Wochen 3 oder 4 halbe Regentage. Der October ist hier herrlich! –

Mit besten Grüssen, auch an die Deinigen und an un¬sere Freunde,

Dein alter E. Haeckel.

Bitte diesen Brief an G. R. Eggeling mitzutheilen, mit besten Grüssen. Die „Welträthsel“ hast Du hoffentlich erhalten?

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
06.10.1899
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32337
ID
32337