Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Max Fürbringer, Nervi, 11. April 1897

Nervi, 11. April 1897 (Riv. Lev.)

Pension „La Riviera“.

Lieber Freund!

Das vagabundirende Maler-Leben, das ich seit einigen Wochen (mit grossem Behagen) führe, hat mich nicht zum Briefschreiben kommen lassen. Verzeihe daher, dass ich Dir erst heute wieder ein Lebenszeichen zukommen lasse und Dir für Deinen lieben Brief danke. Durch Dr. Leo Schultze, der mir während der 6 wöchentlichen Reise durch Sicilien und Calabrien ein sehr angenehmer Reisegefährte war, wirst Du inzwischen bereits gehört haben, dass diese schöne Reise in jeder Beziehung vom Glück begünstigt war. Das „Arbeiten“ in Messina beschränkte sich freilich vorwiegend auf zoologisches Geniessen und Plankton-Sammeln, da uns die liebenswürdigen Collegen zu keiner ruhigen Stunde kommen liessen. Um so mehr haben wir in der herrlichen Natur des südlichen Frühlings geschwelgt und gemalt. Meine Skizzen-Sammlung hat sich um 60 Stück vermehrt. Wenn die Qualität der Quantität gleich käme, wär’s erfreulich! –

Deine Aufträge, betreffend Sammeln seltener Selachien in Formol, wird der geschickte Praeparator des Zoolog. Mus. in Messina, Marco, unter der Aufsicht des sehr gefälligen Prof. Ficalbi, meiner schriftlichen Anweisung entsprechend, ausführen; d. h. soweit möglich! Es kommen nämlich die meisten von Dir gewünschten Arten auch in Messina nur selten vor; wir haben fast täglich den Fischmarkt besucht, ohne sie zu Gesicht zu bekommen. Galeus, Mustelus, Scyllium, etc. sind täglich zu haben, auch Raja etc. Aber bei den seltenen Arten kommt es auf Jahreszeit und Gelegenheit an. Indessen will Ficalbi das Möglichste thun. –

Meiner Frau ist es leider inzwischen nicht besonders gegangen. || Im Februar, der in ganz Italien diesmal sehr gut war, hatte sie sich in San Remo sehr erholt. Dann kam der kalte stürmische März mit sehr wechselnder Temperatur; in Folge dessen erlitt sie eine starke Erkältung, mit Fieber, Rückfall von Herzschwäche etc. Als ich am 28.3. (direct per Schiff von Neapel nach Genua kommend) in San Remo eintraf, fand ich meine Frau so elend, dass wir noch eine Woche dort bleiben mussten. Wir fuhren dann direct hierher, wo wir in einer kleinen stillen Pension ein sehr passendes Unterkommen gefunden haben. Nervi scheint ihr sehr gut zu bekommen, so dass wir noch die Oster–Feiertage hier bleiben und erst am 20. April die Rückreise über Venedig und Wien antreten werden. Sonntag, 2. Mai, Abends denken wir wieder in Jena einzutreffen. –

Unsern verehrten Freund Gegenbaur, der mit seiner älteren Tochter für einen Monat in Santa Margherita ist, besuchte ich vor einigen Tagen. Er wird immer schnurriger und misanthropischer. Ich habe nicht erfahren können, ob sein Buch fertig und schon unter der Presse ist? – „Das geht keinen Menschen Was an“! – war seine Antwort. –

Das schreckliche Schicksal der armen Familie Stintzing hat mich und meine Frau schmerzlichst berührt. Ich kann mir denken, wie viel dabei auch besonders Deine liebe Frau gelitten hat. –

Dass der verdienst lose „Handlanger“ Bismarck am 22.3. von der modernen Caligula in Berlin ignorirt wurde, hat in ganz Italien Entsetzen erregt (– ebenso die verrückten Reden des „Gottgesandten“, dessen „Auge über Alles wacht“!!! –) Was werden wir noch erleben? Morgen besucht mich hier John Murray.

Herzlichste Grüsse an Deine liebe Familie und alle Freunde.

Dein treuer E. Haeckel.

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
11.04.1897
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 32310
ID
32310