Ernst Haeckel an Pieter Harting, Jena, 9. Januar 1869
Jena 9 Januar 69.
Hochverehrter Herr College!
Die gütigst übersandte Fortsetzung Ihres vortrefflichen „Leerboeks der Dierkunde“ (Arthropoden und Würmer) habe ich richtig erhalten und sage Ihnen dafür meinen besten Dank. Hoffentlich werden Sie inzwischen auch meine „natürliche Schöpfungsgeschichte“ erhalten haben, die ich Ihnen durch Buchhändler-Gelegenheit zusandte.
Ich bin sehr begierig zu hören, wie es mit der Publication meiner „Entwickelungsgeschichte der Siphonophoren“ steht. Wie viel Tafeln sind fertig? ||
Und wann kann der Druck des Textes beginnen? Es würde mir aus verschiedenen Gründen sehr erwünscht sein, wenn die Herausgabe des Buches nicht allzu sehr verzögert würde. Auch wiederhole ich meine Bitte, dass mir eine doppelte Correctur (d.h. ein doppeltes Exemplar von der zweiten Correctur) sowohl des Textes als auch der Tafeln zugesendet wird. Was den von der Gesellschaft mir zuerkannten Preis betrifft, so wäre es mir lieber, den Werth der goldenen Medaille in baarem Silber (resp. Wechsel) als die erstere selbst zu erhalten. Ich glaube übrigens, ich habe diesen Wunsch schon im vorigen Jahre gegen Sie geäussert, in welchem Fall ich um Entschuldigung bitte, dass ich denselben hier wiederhole. ||
Ich bin gegenwärtig mit Bearbeitung der Hydromedusen und Siphonophoren beschäftigt, welche ich von den canarischen Inseln mitgebracht habe. Ausserdem sammle ich Material zur Befestigung meiner Theorie des Ursprungs der Echinodermen (Asteriden als Stammform dieses Phylum) aus den gegliederten Würmern. Zwar hat Semper in seinem neulich erschienenen Holothurien-Werke dieselbe zu widerlegen gesucht. Indess bin ich durch Sempers Gründe nicht überzeugt und glaube vielmehr, dass die durch nebenstehenden Stammbaum angedeutete Hypothese die richtige ist. Zwischen Echinodermen und Coelenteraten kann ich keine Spur von Verwandtschaft entdecken, wie Semper glaubt. [Skizze: gezeichneter Stammbaum: Asterida<Criuvida.Ecinidae–Holothuriae//Annelida] ||
Es würde mir von hohem Interesse sein, Ihre Ansicht über diese Hypothese zu vernehmen, ebenso wie über meinen Wirbelthierstammbaum. Was die Coelenteraten betrifft, so wird mir deren Ursprung von den Spongien immer wahrscheinlicher. Einige Spongien sind von einigen Anthozoen kaum zu unterscheiden, so die neulich von Oscar Schmidt beschriebene Osculina, und die von meinem Assistenten Miklucho beschriebene interessante Guancha (Jenaische Zeitschrift für Medicin und Naturwissenschaft, a IV Bd, 1868).
Gegenbaur lässt Sie schön grüssen. Er hat sich neulich verlobt (mit einer Tochter des Heidelberger Anatomen Arnold) und ist sehr munter. Sollten Sie zufällig in Utrecht meinen Vetter sehen, den aus dem Haag nach Utrecht versetzten Hauptmann und Schriftsteller Lodevyk Mulder, so bitte ich ihn nebst Frau herzlich zu grüssen. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr ganz ergebener
Haeckel
a gestr.: )