Ernst Haeckel an Ernst Klotz, Jena, 26. Oktober 1911 [Briefabschrift]
Jena 26.X.1911.
Sehr geehrter Herr Klotz!
Von einer 4wochentlichen Badekur zurückgekehrt, fand ich erst heute hier Ihr Schreiben vom 30.IX., sowie Ihre Abhandlung:
„Der Mensch organ-gesetzlich erfaßt“ vor.
Daß ich prinzipiell mit Ihrer morphologischen Auffassung übereinstim-||me, ist Ihnen bekannt. Leider kann ich aber Ihrem Wunsche, dieselbe praktisch zu fördern, und eventuell hier eine Diskussion darüber zu veranlassen, nicht entsprechen. Seit meinem Rücktritt vom Lehramte (vor 2 ½ Jahren) habe ich mich vom öffentlichen Leben hierselbst gänzlich zurückgezogen. Zudem ist seit 6 Monaten mein Gesundheitszustand (mit 77 ½ Jahren) miserabel; in Folge eines Hüftgelenk-Bruches kann ich nicht mehr ausgehen und bin zu äußerster Ruhe und Untätigkeit gezwungen; Versammlungen besuche ich nicht mehr.
Falls Sie Ihre Ansichten vorzutragen und eine kritische Diskussion darüber anzuregen wünschen, dürfte der geeignetste Ort die hiesige Anthropologische Gesellschaft (allerdings nur klein) sein; eventuell auch die Medizinische Gesellschaft.
Mein College Prof. Dr. von Bardeleben (dessen zustimmende Mitwirkung Sie ja auch in Ihrem Vortrage hervorhoben) dürfte am meisten geeignet sein, diese Verhandlung in’s Leben zu rufen; auf Ihren Wunsche werde ich ihm || Ihren Brief und Vortrag zusenden.
Allerdings dürfen Sie nicht glauben, a mit Ihren Anschauungen hier in weiteren Kreisen Anklang zu finden, besonders hinsichtlich der monistischen Konsequenzen für die Philosophie und Hygiene. b
Überwiegend ist hier der Einfluß meines dualistischen Antipoden Prof. Eucken (Träger des Nobelpreises!).
Mit dem aufrichtigen Wunsch, Ihren schätzbaren Bemühungen für eine natürliche und organ-gesetzliche Beurteilung des menschlichen Organismus von Erfolg gekrönt zu sehen, bleibe ich
Hochachtungsvoll
Ihr ergebener
Ernst Haeckel.
a gestr.: hier in; b gestr.: Ueberw