Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Rudolf Peters, Jena, 24. Juni 1883

Brief.

Herrn Dr. Paul Peters

Geesthacht bei Hamburg (Bergedorf).

Jena 24 Juni 83.

Lieber Herr Peters!

Für Ihre beiden freundlichen Briefe danke ich Ihnen bestens. Ich habe mich sehr gefreut, nach längerer Zeit wieder von Ihnen zu hören, um so mehr, als Alles so gut und erfreulich klingt. Ich freue mich aber nicht allein, dass Sie zunächst einen angenehmen und Sie befriedigenden Wirkungskreis gefunden haben, sondern auch besonders, und noch viel mehr, dass Sie Ihre naturphilosophischen Studien auf vergleichend-zoologischer Basis mit so viel Interesse und Erfolg weiter betreiben.

Mit allen Hauptpunkten Ihrer Welt-Auffassung bin ich im Wesentlichen einverstanden, und ganz besonders mit Ihrer Ansicht vom Werthe des Idealen in seinen 3 Hauptgruppen, den intellektuellen, ethischen u. ästhetischen Idealen. Je älter ich selbst werde, (– und ich stehe jetzt im 50.st J.) desto mehr überzeuge ich mich, dass im ehrlichen Streben nach denselben das höchste Lebensglück zu finden ist, weil uns die Hingabe daran von der persönlichen Beschränkung unseres individuellen Wesens erlöst und uns in der Hingabe an das Allgemeine zugleich das Glück empfinden lässt, für dessen fortschreitende Entwickelung mit wirksam zu sein. Darin liegt ja auch die Bedeutung der socialen Instincte, durch welche sich die gesellig lebenden höheren Thiere so bedeutend über die solitären erheben. Im Menschen erreicht aber diese Bedeutung eine grössere Macht, als sonst irgendwo. – Auch in dem, was Sie über Strauss bemerken, und besonders über den wichtigen Zusammenhang zwischen Religion und Kunst, stimme ich Ihnen ganz bei. Ich selbst habe den Werth der Kunst immer höher schätzen gelernt, und meine Landschafts-Malerei in den Mussestunden gehört zu meinen grössten Schätzen. In dem Häuschen, das ich mir jetzt am Leutra-Bache (neben Prof. Geuther) gebaut habe, ist ein kleines Atelier als Tempel der schönen Kunst das Höchste! In dem schönen neuen zoologischen Institut gegenüber (– in Snell’s Garten am Neuthor – an der „Pforte des Paradieses“ –) beglückt mich die freie Wissenschaft. Auch sonst geht es mir seit der Rückkehr aus Indien recht gut; meine 3 Kinder wachsen heran und geben mir Material für Beobachtungen über „Anthropogenie“. – Carneri, bei dem ich vorigen Herbst (auf seinem Schloss Wildhaus in Steiermark zu Gaste war, ist ein sehr liebenswürdiger u. idealer Mensch. – Manches Gute für Ihre „Menschheits-Religion“ dürften Sie bei Feuerbach finden. – G. H. Schneider (Verf. des „thier. Willens“, mein früherer Assistent) ist jetzt wieder in Jena u. wohnt bei Hrn. Kanoldt.

Mit freundlichsten Grüssen u. besten Wünschen

Ihr

Ernst Haeckel

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
24.06.1883
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Geesthacht bei Hamburg
Besitzende Institution
Unbekannt
ID
31947