Ernst Haeckel an Albert Niess, Jena, 8. Oktober 1878
Jena, 8 Oct 78.
Lieber Freund!
So eben von einer zweimonatlichen Reise nach der Normandie und Bretagne zurückgekehrt, finde ich hier Ihre beiden Briefe vor, den ersten (vom 22. September), worin Sie mir die Geburt eines Töchterchens, und den zweiten (vom 30.), worin Sie mir den Tod Ihrer lieben theuren Frau mitteilen. Armer, armer Freund! Was soll ich Ihnen sagen? Ich empfinde ganz und voll mit Ihnen den ungeheuren, unersetzlichen Verlust! || Als ich (am 16. Februar 64) mein dreißigstes Lebensjahr vollendete, wurde mir durch einen jähen, unerwarteten Tod meine innigst geliebte erste Frau, Anna Sethe, plötzlich entrissen, – ein unvergleichliches, unersetzliches Weib, mit dem der beste Theil meines Lebens für immer verloren war! Ich habe geglaubt, daß ich diesen schwersten, furchtbarsten Verlust nie würde ertragen können, und ich war dem Ende nah! || Und ich habe es doch ertragen! Damals rettete mich weder Religion noch Liebe meiner nächsten Freunde und Verwandten; sondern die Ergebung in das harte, unerbittliche Schicksal, und die Überzeugung, daß auch eine geknickte und gebrochene Existenz meistens noch im Stande ist, sich zum Besten der Menschheit verwerthen zu lassen. Arbeit, unermüdliche Arbeit hat mir geholfen, und nach Jahren habe ich mir wieder eine erträgliche Existenz aus den Trümmern meines zerschlagenen Glückes zusammen gezimmert! || So, lieber Freund, wird sich auch an Ihnen der langsam heilende Einfluß der Zeit bewähren – um so mehr, als Ihnen liebe Kinder geblieben sind, die als bestes Vermächtniß der theuren Entschlafenen Sie freundlich und erheiternd umgeben. Auch Ihnen ist ja, wie mir, in der gereiften Weltanschauung eine Quelle des Trostes gegeben, die den Meisten noch fehlt! Ich drücke Ihnen von Herzen die Hand voll innigster Theilnahme, ebenso meine Frau, die tief erschüttert ist.
Ihr treuer
E. Haeckel