Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Albert Niess, Jena, 16. April 1876

Jena 16 April 76

Lieber, theurer Freund!

Nehmen Sie in diesen wenigen Zeilen den Ausdruck der innigsten, herzlichsten Theilnahme von mir und von meiner Frau über das schwere Unglück entgegen, das Sie durch den plötzlichen Tod Ihres lieben, süßen Kindes betroffen hat. Wir haben auch um unsere drei lieben Kindera schon viel schwere Sorge gehabt und können ermessen, welch’ bitterer unsäglicher Schmerz das liebende Elternherz bei einem solchen Verluste zerreissen muß. Ihr Lied, das uns zu Thränen rührte, giebt ihm wahren Ausdruck! || Lieber Freund! Ich weiß, was der Tod bedeutet! Am 16. Februar 1864, an dem Tage, an welchem ich mein 30stes Lebensjahr vollendete, entriß mir der Tod innerhalb zehn Stunden mein erstes, innigst geliebtes Weib – ein Verlust, der mich dem Wahnsinn und dem Rande des Grabes nahe brachte, der mir fasta in jeder Beziehung unersetzlich war und den ich niemals verschmerzen werde! Das war tausendmal schlimmer als selbst sterben! ||

Jahrelang lebte ich in bitterstem Schmerze mit zerrissenem Gemüthe; und erst als später meine zweite Frau mir ein neues, wenngleich ganz anderes, häusliches Glück bereitete, lernte ich wieder allmählich dem Leben freundliche Seiten abgewinnen!

Was mich rettete, war die Arbeit, das Versenken in die Natur und die allgemeine Betrachtung des Welt-Processes, der blind nach dem Gesetze der ehernen Nothwendigkeit verläuft und der in Natur und Menschenleben mit soviel Qual und Schmerz verknüpft ist! ||

Ich hoffe, daß auch Ihnen Ihre philosophische Weltbetrachtung und Ihr tiefes Naturverständniß Trost und Ruhe bringen wird! Vor Allem aber hoffe und wünsche ich, daß Ihre beiden anderen Kinder baldigst genesen und Ihnen für den herben Verlust Ersatz leisten werden.

Meine Frau drückt mit mir Ihnen und Ihrer lieben armen Frau in tiefstem Mitgefühl die Hand!

Ihr treu ergebener

Ernst Haeckel ||

Sonntag Abend.

16/4 76.

Lieber armer Freund!

Eben sollte der beifolgende Brief auf die Post, als Ihr zweiter Trauerbrief mir den Verlust Ihres zweiten lieben Kindes meldet! Armer, armer Vater, ärmste Mutter!

Meine Frau ist tief erschüttert und läßt Ihnen ihre innigste herzlichste Theilnahme ausdrücken. || Hoffen Sie, liebster Freund auf den langsam lindernden Einfluß der allmähligen Zeit, welche den bittersten Schmerz in sanfte Wehmuth wandelt! Wer weiß, welche Leiden den beiden lieben Kindern in diesem Leben des Kampfes und der Noth erschwert geblieben sind!

Wir drücken Beide Ihnen nochmals in innigster Theilnahme die Hand!

Ihr treuer

E. Haeckel

a irrtüml.: Kindern;

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.04.1876
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Stadtarchiv Braunschweig
Signatur
G IX 8: 11
ID
31911