Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelmine Hintze, Jena, 31.10.1909

Jena 31.10.1909.

Liebe und verehrte Freundin!

Ihr Bericht über Plates Vortrag in Hamburg am 22.10. hat mich sehr interessirt. Auch hier hat sich mein allgewaltiger Vorgänger [!] neuerdings sehr anerkennend ausgesprochen, in auffälligem Gegensatz zu seinem schwer beleidigenden Untersuchungs- und Exmissions-Verfahren im letzten Sommer. Auch daß er Dr.Schaxel bei dessen letzten Besuche (Anfang October) und zu seiner großen Überraschung (!) zum besoldeten Kustos des Phyletischen Museums ernannt hat, beweist, daß er (als kluger Politiker!) in mildere Bahnen einlenken will; sein brutales und höchst undankbares Benehmen scheint er etwas zu bereuen. || Ich habe – zunächst für diesen Winter – auf die Benutzung meines Arbeitszimmers im Phyletischen Museum ganz verzichtet und arbeite zu Hause. Die neue (6.) Aufl. der Anthropogenie – mit 64 Correctur Bogen – wird mich das nächste halbe Jahr vollauf beschäftigen. Mit der Gesundheit bin ich jetzt ziemlich zufrieden; freilich merke ich an Abnahme des Gedächtnisses und der Elastizität, verminderte Arbeitsfähigkeit von Nerven, Skelet und Muskeln, daß ich die Schwelle des 75. Jahres passirt habe! Beiliegenden Abdruck über „Darwin als Anthropologe“ haben Sie wohl die Güte gelegentlich Dr.Reh zu geben. Mit herzlichen Grüßen

stets Ihr alter

Ernst Haeckel. ||

[gedrucktes Rundschreiben:]

Phyletisches Museum in Jena.

Zahlreiche Anfragen, betreffend den Besuch des neuen Phyletischen Museums in Jena, veranlassen mich zu folgender Mitteilung. Das Gebäude des Museums (Neugasse 22), welches innerhalb Jahresfrist fertig gestellt wurde, ist zwar am 30. Juli 1908 der Universität Jena – bei Gelegenheit ihrer 350jährigen Jubelfeier – als Eigentum übergeben worden; es ist aber noch so feucht, dass die innere Ausstattung und das Einräumen der wertvollen Sammlungen erst im nächsten Frühjahr beginnen kann. Voraussichtlich wird diese umfangreiche Arbeit noch das ganze nächste Jahr in Anspruch nehmen, so dass die Oeffnung der Schausammlungen für das Publikum erst im Frühjahr 1910 stattfinden kann.

Die Geldmittel für den Bau und die Ausstattung des Museums sind lediglich durch freiwillige Beiträge meiner Schüler und Freunde, sowie durch hochherzige Gaben von begüterten Anhängern der Entwicklungslehre gesammelt worden. Weitere Gaben dafür nimmt dauernd das „Rentamt der Universität Jena“ entgegen, das darüber zu quittieren amtlich ermächtigt ist. Von den Erträgen dieser fortgesetzten Sammlung wird es abhängen, ob dieses „Erste Museum für Entwicklungslehre“ in vollem Maße das hohe Ziel erreichen wird, welches mir bei seiner Gründung im Beginne des Jahres 1907 vor Augen stand, die Schaffung einer öffentlichen Bildungsstätte für wahre Natur-Erkenntnis, eines Tempels für den Kultus des Wahren, Guten und Schönen.

Jena, 18. August 1908.

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
31.10.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31713
ID
31713