Keller, Conrad

Conrad Keller an Ernst Haeckel, Zürich, 25. Dezember 1878

Zürich, dℓ. 25. Dec. 1878.

Hochverehrter Herr Professor!

Gleichzeitig mit diesen Zeilen erhalten Sie als schwaches Zeichen meiner Dankbarkeit für Ihre werthvollen Geschenke eine Arbeit, allerdings mehr populärwissenschaftlichen Inhalts. Unsere naturforschende Gesellschaft hat nämlich die alte löbliche Sitte je auf Neujahr für das hiesige Publicum durch eines Ihrer Mitglieder eine Abhandlung herauszugeben.

Es interessirt mich außerordentlich, wie es Ihnen in Jena geht bei den hübschen Zeiten. Trotz Virchow habe ich bis dato nicht gelesen, daß Ihre Werke auf den Index gesetzt wurden. Man wird doch wenigstens Ihre „Kalkschwämme“ passiren lassen, denn die Gastrula lebt u. zwar jetzt doppelt als pseudo u. vera u. ich halte dafür daß auch das Syncytium noch nicht verloren ist.

Hier in Zürich haben wir aucha eine ziemlich characterlose Zeit, Sumpf ist jetzt ja überall die Signatur. Indessen haben wir es schlimmer erwartet.

Doch gerade jetzt gilt es, ideale Bestrebungen hoch zu halten u. darüber || seien wir beruhigt – Ideen lassen sich nun einmal in ihrem Fortschritt nie auf die Dauer aufhalten.

Ich freue mich, Ihnen sagen zu können, daß trotz der geringen Frequenz unserer Anstalten ich noch nie ein schöneres Auditorium beisammen hatte, als diesen Winter (57 Mann, darunter 10 sehr talentvolle Practicanden). Frey jammert nun bei meinen Bekannten, daß ich undankbar sei u. ihm seine alten Tage verbittere, als ob er mir meine jungen Tage sehr versüßt hätte, Oken nicht zu vergessen.

Ich muß Ihnen nun confidentionell mittheilen, daß meine Stellung in Zürich sich sehr rasch entscheiden muß in Folge jüngst eingetretener Veränderungen. Es ist jetzt eine Combination möglich, wo ich schon bis Frühjahr eine feste Lebensstellung einnehmen kann; unser Cultusminister hat mir für die Zukunft auch Aussichten eröffnet u. ich muß mich auf verschiedene Eventualitäten gefaßt machen u. mich vorsehen. Es ist denkbar daß sofort, vielleicht aber erst im Frühjahr in der Facultät u. im Erziehungsrath vorgegangen wird. ||

Die philosophische Facultät ist mir günstig u. in ihrem Schooße kann ich kaum Opposition erwarten. Heer, der meine Richtung anfänglich etwas kühl betrachtete, hat sich in neuester Zeit mir gegenüber freundlich gestellt, er wird natürlich ein gewichtiges Wort mitreden u. ich darf zu ihm Vertrauen haben, denn vor allen Dingen ist er eine noble Natur.

Formell wird nun auch Frey angegangen werden müssen. Erb ist zum Glück von allen Collegen verachtet u. heute ohne den geringsten directen Einfluß. Dagegen ist er sehr raffinirt u. gefährlich, weil er auf Umwegen zu operiren sucht. Ist er, seit man ihm wiederholt derb auf die Finger geklopft, etwas scheuer geworden, so wird er mir ganz sicher Minen legen, die möglicherweise nur von außen her paralysirt werden können. Die Facultät muß nöthigenfalls von einer anderen schweizerischen Kraft oder durch einen Fachmann im Auslande secundirt werden. Ich denke derartige Fälle kennen Sie wohl zur Genüge. Ich wende, wenn Sie dies nicht unbescheiden finden, mich naturgemäß zunächst an Sie mit der freundlichen Bitte um allfälligen Schutz u. Unterstützung, wenn die Facultät ans Ausland recurrieren muß.

Es ist denkbar, daß Frey mir mit Hülfe || von Carl Vogt ein Bein unterschlagen will, denn die beiden haben sich in letzter Zeit auffallend genähert. Das hat nun freilich wenig zu bedeuten, denn Vogt steht hier in sehr schlechtem Geruche, dagegen hat mir Professor Rütimeyer in Basel bereits seine Unterstützung zugesagt.

Ich will Ihnen später gern weiter über den Gang der Dinge berichten u. bin um allfällige Weisungen Ihnen sehr dankbar. Sie haben vielleicht die Güte, mir hierüber Ihre Meinung mitzutheilen.

Indem ich Ihnen mein herzliches Prosit Neujahr! biete, bin ich mit den freundlichsten Grüßen

Ihr stets ergebener

Dr. C.Keller

a irrtüml.: auf; b irrtüml.: Erst

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
25.12.1878
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31274
ID
31274