Keller, Conrad

Conrad Keller an Ernst Haeckel, Zürich, 15. Juli 1874

Zürich, dℓ. 15. Juli 74

Hochverehrter Herr Professor!

Sie sind vielleicht überrascht, daß ich mich unterfange, Ihnen zu schreiben u. doch drängt es mich, Ihnen zu sagen, wie ich in Zürich aufgenommen wurde.

Zunächst schied ich ungern von dem unvergeßlichen Jena – es ist immer ein eigenes Gefühl, wenn man aus einer so lichtvollen Sphäre heraus muß. Es zog mich indessen aus verschiedenen Gründen wieder mächtig nach dem heimathlichen Boden, den ich vor Allem liebe. Seit einer Woche halte ich mich in dem prächtigen Zürich auf ‒ u. bleibe in Zukunft daselbst. Erst bei meiner Zurückkunft erfuhr ich eigentlich so recht, || wie bunt es mein Freund Frey getrieben hatte. Allein dessen Schicksal ist nun ein für allemal besiegelt. Er hat diesen Sommer sich auch durch anderweitige Wühlereien so verhaßt gemacht, daß er an maßgebender Stelle auch den letzten Rest von Achtung eingebüßt hat.

Von Seite der Behörden bin ich aufs zuvorkommenste aufgenommen worden u. sowohl der zürcher Erziehungsdirector als der Präsident des Schulrathes vom Polytechnikum haben mich aufgefordert, auf nächstes Frühjahr mich an Universität u. Polytechnikum a zu habilitiren. Dabei sind mir solche Perspectiven eröffnet, sofern ich Lehrtalent entwickle, daß nun meine Zukunft gesichert ist. Inzwischen ist für meine Existenz, die ich für den Moment nöthig habe, bereits gesorgt. ||

Diesen Winter werde ich Einiges was mir noch fehlt, mit aller Energie nachholen u. werde einerseits noch im Präparirsaal, anderseits für Palaeontologie arbeiten.

Ich darf ihnen nun wohl gerne bekennen, daß ich diese Erfolge wesentlich Ihrer herzlichen Aufnahme zu verdanken habe. Daß Sie mir Ihre wohlwollendeb Unterstützung gegen einen feigen Intriguanten, der mir in den Weg treten wollte, verliehen haben, ist mir natürlich unvergeßlich. In Zürich hat man sich mit ungeheurem Interesse überall nach Ihnen erkundigt u. ist auf Ihr neuestes Werk, das bereits angekündigt ist, sehr gespannt. Nur Frey hat sich nicht nach Jena erkundigt – bei meinem Besuch war ein zufälliges Unwohlsein (!) schuld, daß er mir nur einige Minuten schenken konnte. ||

Es würde mir natürlich unendlich Freude machen, Sie in der Schweiz zu sehen. Inzwischen schließe ich mit der größten Dankbarkeit und Verehrung gegen Sie

Ihr sehr ergebener

Conr. Keller

bei der Post Oberstrass Zürich

a gestr.: mich; b irrtüml: Wohlwohlende

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.07.1874
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 31258
ID
31258