Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, München, 15. Februar 1918

München Schackstr. 2III

d. 15. Februar 1918.

Hochverehrter lieber Freund und Lehrer!

Morgen feiern Sie Ihren 84. Geburtstag! In einer ernsten, für unser Vaterland schweren Zeit! Denn so glänzend auch unsere Waffenerfolge sind und dem entsprechend unsere politische Lage dem Ausland gegenüber, so unerfreulich sind unsere innerpolitischen Verhältniße. Indessen ich habe die feste Zuversicht, daß Deutschland auch diese immense Krise, die der Unverstand der sozialdemokra-||tischen Fanatiker und in ihrem Schlepptau fahrenden zünftigen Politiker geschaffen hat, überwinden wird. Post nubila Phoebus! So möge es Ihnen noch vergönnt sein, im Lauf Ihres 85 Lebensjahrs einen für Deutschlands Zukunft segensreichen Frieden zu erleben. Und so möchte ich Ihnen zugleich auch im Namen meiner Frau die allerherzlichsten Glückwünsche aussprechen. Hoffentlich ist das vor 14 Tagen abgesandte Exemplar der Lebenserinnerungen meiner Schwiegermutter inzwischen in Ihren Besitz gekommen. Was || aus der früheren Zusendung geworden ist, ist mir unverständlich. Die Zuverlässigkeit unserer Post ist leider in der letzten Zeit eine sehr bedenkliche.

Mit Oskars Stellungnahme gegen die Selectionslehre bin ich gar nicht einverstanden, besonders nicht mit seiner neuesten Schrift. Er ist aber so felsenhaft überzeugt, daß er Recht hat, daß da Nichts zu machen ist.

Ich stecke jetzt in Arbeit. Ganz abgesehen von meiner politischen Thätigkeit in der Vaterlandspartei, habe ich Vorträge im Rahmen der Hochschulkurse an der Front übernommen. Ich werde vom 10 – 20 März in Prilep an || der mazedonischen Front, im April in Brüssel sprechen. Ich freue mich namentlich auf die Reise nach Mazedonien, hoffe dabei auch nach Sofia zu kommen.

Gestern bekamen wir wieder einmal einen Brief von unserem Otto, datirt vom 26. Dezember. Er war also 7a Wochen unterwegs, ein Zeichen wie schlecht die Franzosen ihre Gefangenen behandeln. Sein am 22. Dezember abgesandtes Weihnachtspacket ist bei uns nicht eingetroffen. Ausser dem Brief haben wir noch eine Postkarte vom 12. Januar erhalten. Uns thut der arme, arbeitsdurstige Mann zu Leid.

Zum Schluß noch ein herzliches Glückauf von Ihrem alten Ihnen in treuer Verehrung ergebenen Schüler

Richard Hertwig.

a korr. aus: 8

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
15.02.1918
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30550
ID
30550