Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, Burg Persen, 19. September 1913

Burg Persen d. 19. September 1913.

Hochverehrter lieber Lehrer und Freund!

Seit 14 Tagen bin ich auf Burg Persen, einer alten Burg des Fürstbischofs v. Trient, welche eine deutsche Gesellschaft gekauft und ausgebaut hat. Letzteres ist in der Weise geschehen, daß die Mitglieder der Gesellschaft das Recht erkaufen konnten, sich Zimmer nach ihrem Geschmack einzurichten. Und so haben wir 1 Zimmer mit einem anschließenden kleineren Raum – letzteren für unsere Marianne – || erworben. Mein Sohn Otto, der im August mit Auszeichnung sein Examen als Diplom-Ingenieur bestanden hat, hat das Zimmer architektonisch ausgemalt und die Meubel dazu a entworfen, so daß das Ganze einen sehr behaglichen Eindruck macht. Wir gedenken jeden Herbst 2–3 Wochen hier zuzubringen. Die Gegend ist wundervoll. Besonders schön ist der Blick auf den See Caldonazzo einerseits, auf die Brenta andererseits. Ein besonderer Reiz dieser Gegend ist die wundervolle Üppigkeit. Schöne Wälder, besonders von mächtigen alten Kastanien ziehen sich an den Bergen in die Höhe, bis an die Felsen, so daß nirgends die so oft das Bild störenden Schutthalden zu sehen sind.

Aus den Zeitungen werden Sie wohl erfah-||ren haben, daß die Kaiser Wilhelm Gesellschaft dem Plan näher getreten ist ein großes Forschungs-Institut für Biologie zu gründen. Ursprünglich war Boveri als Director in Aussicht genommen. Da dieser ablehnte, wurde Correns angestellt. Mir ist es eine große Freude, daß zwei meiner Schüler als Abtheilungsvorstände berufen worden sind, Goldschmidt für Vererbungslehre, Hartmann für Protozoenkunde. Die Abtheilungsvorstände sind in ihrer Stellung vollkommen unabhängig; jeder hat einen bestimmten Theil des Geländes und des Versuchsgartens für sich, hat seinen eigenen Assistenten, seine Diener und seinen Etat, über den er vollkommen frei verfügen kann. Es sind geradezu ideale Stellungen, beib welchen von dem Inhaber nur tüchtige wissenschaftliche For-||schung verlangt wird.

Mich freut es daß Sie an Ihrer Enkelin so große Freude haben, daß dieselbe so intensives naturwissenschaftliches Interessec besitzt. Bei meinen Kindern dominiren die künstlerischen Interessen ihres Großvaters Braun. Denn auch meine Marianne neigt mehr der Malerei zu.

Seit gestern haben wir hier schlimmes Regenwetter. Namentlich war es heute trostlos. Die Nebelwolkend flatterten um Burg und Berge herum. Wir haben aber die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß wir Toblino und den Molveno-See noch besuchen können. Letzterer ist seit vielen Jahren unser Ziel. Jedesmal ist uns schlechte Witterung dazwischen gekommen.

Viele herzliche Grüße sendet Ihnen und Ihrer lieben Frau

Ihr in treuer Freundschaft und Vereh-||

rung ergebener

R. Hertwig

Beste Grüße auch von meiner Frau.

a gestr.: geg; b eingef.: bei; c eingef.: Interesse; d korr. aus: Nebelflocken

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.09.1913
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30535
ID
30535