Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, Schlederlohe, 1. Oktober 1910

Schlederlohe d. 1. Oktober 1910

Hochverehrter Lehrer! lieber Freund!

Der herrliche Sonnenschein hat uns nach Schlederlohe hinausgelockt. Wir wollen heute Abend hier übernachten und morgen früh nach München zurückkehren, wo wir den Geburtstag meiner Schwägerin zu feiern haben.

Mit großer Freude erinnere ich mich Ihres Besuchs gestern vor 14 Tagen. Damals war es auch so sonnig wie heute, nur etwas kühler und die Aussicht noch trüber als heute. Hoffentlich haben Sie durch Ihre Anwesenheit Schlederlohe schätzen lernen || und kommen einmal auf längere Zeit, wenn die Aussicht ganz klar ist, damit Sie die landschaftlichen Schönheiten des oberen Isarthals voll würdigen lernen. Sie werden hier viele Gelegenheiten zum malen finden. Ich mache es wie der Gastwirth von Ragusa vor nunmehr bald 40 Jahren. Ich verspreche Ihnen frei Kost und frei Logis, wenn Sie mir ein schönes Aushänge-Schild malen. Einen Vorzug bietet sogar Schlederlohe vor Ragusa; es heißt weder „si va in campagna“ noch auch „fate in camera“.

Und nun komme ich zur Hauptsache! Ihnen für Ihre lieben Glückwünsche meinen herzlichsten Dank auszusprechen! Es ist noch nicht allzu lange her, da konnte ich Ihnen bei gleicher Gelegenheit gratuliren, aber nicht nur in meinem Namen || sondern im Namen von so vielen vielen Verehrern, welche aus allen Gegenden der Welt stammend sich vereint hatten Sie zu feiern. Ihre Feier war eine Weltfeier, meine Geburtstagsfeier eine Art Familienfeier. Diesesa Unterschieds werde ich immer bewußt bleiben, wenn ich eine Stelle einnehme, von der es einige Zeit sicher erschien, daß Sie Ihnen zufallen werde. Ich weiß wie sehr Sie sich gefreut haben würden, Ihren Wirkungskreis nach München zu verlegen; wie ich die hiesigen Verhältniße kenne, bin ich aber zugleich überzeugt, daß die Münchener Professur für Sie eine Quelle beständigenb Streits und Verdrusses geworden sein würde. Für Sie ist der herrliche freie und ungezwungene Charakter der Universität Jena mit ihrer wunderbaren Umgebung der richtige Boden Ihrer Wirksamkeit gewesen. Und so kann ich ohne Gewissensbisse mich einer Stelle erfreuen, || von der ich sicher annehme, daß c sie Ihnen nur Verdruß und Enttäuschungen gebracht haben würde.

Den Brief des Herrn Dr. Martin habe ich erhalten. Ich habe 3 meiner Praktikanten, welche mir für die Stelle geeignet scheinen. Ich habe sie dem ältesten derselben angeboten. Er wollte sich die Sache einmal überlegen. Sollte er ablehnen so werde ich dem zweiten und dritten den Vorschlag wiederholen.

Wollen Sie mich Ihrer lieben Frau bestens empfehlen und seien selbst herzlichst gegrüßt

von ihrem in alter Dankbarkeit

und Freundschaft ergebenen Schüler

R. Hertwig

München d. 3. Sept. 1910

Heute war es herrlich am frühen Morgen im Isarthal. Das Thal war im Nebel, Die Berge und die Thalufer im schönsten Sonnenschein. Hätten wir nicht Geburtstag zu feiern wären wir Tags über noch draußen geblieben

a korr. aus: Diesen; b korr. aus: beständigene; c gestr.: S

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
01.10.1910
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30529
ID
30529