Hertwig, Richard

Richard Hertwig an Ernst Haeckel, München, 13. Februar 1904, mit Beischrift von Jula Hertwig

München Schackstr. 2III. d. 13.II.1904.

Hochverehrter lieber Freund u. Lehrer!

Indem ich diesen Brief zu Ihrem 70. Geburtstag an Sie richte, empfinde ich es als einen Vorwurf, daß ich nicht mein Bündel gepackt habe, um zu Ihnen zu reisen und mit Ihnen und Ihrer lieben Familie den Festtag zu feiern. Aber ich denke, Sie als ein Mann, der die Arbeit allea Zeit in erste Linie gestellt hat, werden mein Ausbleiben entschuldigen. Über die akademischen Verpflichtungen des Semesters würde ich mich mit Rücksicht auf das Aussergewöhnlicheb des Festtags hinwegsetzen. || Aber mich hält eine Untersuchung ganz umgarnt, welche im Anschluß an einemc Aufsatz in der Ihnen gewidmeten Festschrift entstanden ist. Ich möchte meine Lehre vom functionellen Wachsthum des Kerns und seiner Bedeutung für die sexuelle Differenzirung eingehender begründen, zugleich auch Weismann’s Lehre vom Ursprung des Todes widerlegen. Zu diesem Zweck habe ich neue Culturversuche an Protozoen begonnen, welche so lange sie nicht zu Ende geführt sind, mir nicht einmal auf einen Tag gestatten, mich von München zu entfernen. Ich leide selbst sehr unter dieser Gebundenheit. Aber es steckt schon so viel Mühe und Sorge in der Arbeit, daß || sie nun bis zu Ende durchgeführt werden muß.

Es sind nun bald 36 Jahre, daß Sie das weltunerfahrene Studentlein, in seinen wissenschaftlichen Neigungen noch ein unbeschriebenes Blatt, mit Ihrem Enthusiasmus für Zoologie begeisterten und so seinem Leben eine feste Führung gaben. Mit herzlicher, tief empfundener Dankbarkeit gedenke ich heute dieser Zeiten, in Sie sich mit väterlicher Fürsorge meiner annahmen während ich Ihnen Ihre Güte nur mit ehrlicher Begeisterung für Sie und Ihre Wissenschaft heimzahlen konnte. Damals begannen Sie Ihre glänzende Siegeslaufbahn als Verfechter || der Descendenztheorie und Vertreter einer Richtung in der Zoologie, welche im Gegensatz zu der herrschenden Kleinigkeitskrämerei die großen allgemeinen Gesichtspunkte der Wissenschaft stets fest im Auge behielt. Ich hatte Gelegenheit den großen Zug Ihres Wesens kennen zu lernen, dem Sie zu allen Zeiten treu geblieben sind und der für Sie ein unversieglicher Jungbrunnen geworden ist.

Zu der Fülled der Erinnerungen, welche meine wissenschaftliche Entwicklung mit Ihrer Forscher- und Lehrthätigkeit verbinden, gesellt sich die überreiche || Anregung, die ich Ihrer herrlichen Künstlernatur verdanke. Die gemeinsamen Spaziergänge und Reisen, zu denen Sie den so viel jüngeren Mann in herzgewinnender Weise aufforderten gehören zu den schönsten Erinnerungen in meinem Leben.

Wenn Sie am nächsten Dienstag in Ihrer unverwüstlichen Jugendlichkeit des Empfindens in einer wunderbar herrlichen Gegend Ihren 70. Geburtstag festlich begehen, werde ich hier in München in treuer Anhänglichkeit des hochverehrten || Lehrers gedenkene, dem ich so aussergewöhnlich zum Danke verpflichtet binf. Mit den Gefühlen unauslöschlicher Dankbarkeit wollen sich dann die herzlichsten Wünsche verbinden daß das 8. Decennium Ihres Lebens einen ebenso glücklichen Anfang, wie Fortgang und Ende finden mögeg.

Jedesmal wenn ich Sie nach längerer Zeit wieder gesehen habe, hatte ich die frohe Empfindung: Das ist unverändert der Haeckel von früher, der durch seine Begeisterungsfähigkeit uns Jüngere alle in den Schatten || stellt. Möge das auch in Zukunft so bleiben!

Noch meine herzlichsten Grüße und Glückwünsche an Ihre liebe Familie, vor Allem an Ihre verehrte Frau.

In alter Anhänglichkeit und Verehrung

Ihr treulichst ergebener

R. Hertwig

Verehrter Herr Professor!

Lassen Sie auch mich zu dem schönen Tage meine herzlichsten Glückwünsche aussprechen || und meinen wärmsten Dank, daß ich auch durch Richard an Ihrer Freundschaft mit teilnehmen durfte! Möge uns noch oft ein freudiges Zusammensein beschieden sein, daß wir Sie in ungetrübter Jugendlichkeit und Frische sei es in München, sei es in Jena begrüßen können. Auch meine Mutter schließt sich mit ihren besten Wünschen an den herzlichsten Grüßen

Ihrer ergebenen

Jula Hertwig

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie und Ihre verehrte Frau auf der Rückreise nach Jena einige Tage unsere Gäste sein wollten!

a korr. aus: in; b korr. aus: den aussergewöhnlichen; c korr. aus: dem; d korr. aus: Füller; e korr. aus: gedenke; f korr. aus: sein; g korr. aus: mögen

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
13.02.1904
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 30508
ID
30508